Dieter Kersten - Februar 1999    
Menschenrechte  
     
  Die internationalen Schlagzeilen der letzten drei Monate des Vorjahres wurden von dem Fall Pinochet bestimmt. Der ehemalige Militärmachthaber Chiles wird für viele (politische) Morde während seiner Herrschaft (1973 bis 1989) verantwortlich gemacht. Solche Morde sind ein Verstoß gegen die Menschenrechte, verkündet am 10. Dezember 1948 durch die Vereinten Nationen und festgelegt in verschiedenen Konventionen.
Welches Herz schlägt nicht höher, wenn einer der (uniformierten) Mörder von Bosnien - Herzegowina bis Chile zur Rechenschaft gezogen wird. Trotzdem haftet diesen spektakulären Aktionen immer ein merkwürdiger Beigeschmack an: genauer betrachtet, haben diese Täter ihre Hinterfrauen und - männer, in deren Auftrage sie handeln oder, ohne deren Unterstützung sie ihre Untaten nie hätten vollenden können. Das gilt für die Diktatoren der Geschichte wie die der Gegenwart.
Im Falle Pinochet und seiner üblen Herrschaft in Chile steht fest, daß sich der Herr einer umfangreichen und nahezu liebevollen Unterstützung z. B. der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und, last not least, der Regierung Ihrer Königlichen Majestät des Vereinigten Königreiches Großbritannien sicher war. Wie wäre es denn, wenn die verantwortlichen Politiker dieser Staaten mit vor Gericht gestellt würden?
Die veröffentlichte Meinung, insbesondere die der Pinochet - Gegner Zuhause und im Exil, verdeckt, daß Menschenrechtsverstöße unter der amtierenden, "demokratischen" Regierung Chiles nach wie vor stattfinden. Ich fand in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 18. Dezember 1998 einen Artikel von Daniel Salamanca unter der Überschrift Im Namen des Fortschritts und unter der Unterüberschrift Entwicklung contra Umwelt und Menschenrechte - Ein umstrittenes Staudammprojekt zerstört den Lebensraum indianischer Ureinwohner in Chile. Ich zitiere die Zusammenfassung aus FREITAG: Das obere Bio-Bio-Tal, zirka 600 Kilometer südöstlich der chilenischen Hauptstadt Santiago gelegen, ist seit Jahren Schauplatz eines erbitterten Kampfes zwischen dem Volk der Pehuenches und der ENDESA, dem größten Stromproduzenten des Landes. In dem malerischen Flußtal an den Abhängen der Anden will der Energieriese eine Reihe von Wasserkraftwerken errichten. Für das milliardenschwere Projekt sollten mehrere tausend Hektar Land überflutet und die dort lebenden Pehuensches-Indianer vertrieben werden. Dagegen wehrt sich eine chilenische Organisation, deren Gründer, der Sänger und Ökologe Juan Paulo Orrego, in diesem Jahr mit dem alternativen Nobelpreis geehrt wurde. Für diese Indianer gibt es keine Entschädigung. Von einem befreundeten Chilenen, dessen Familie im Süden Chiles lebt, weiß ich von dem latenten Rassismus in der chilenischen Gesellschaft. Indianer gelten als Untermenschen, obwohl, auch nach Meinung meines Gewährsmannes, die Indianer die einzigen Träger originärer und zukunftsweisender Kultur in Chile sind. Diese Verstöße gegen die Menschenrechte in Chile, getragen von einer Mehrheit des chilenischen Volkes (es haben ja "demokratische" Wahlen stattgefunden), abgesegnet u.a. von der Weltbank (die auch deutsche Steuergelder verteilt), vielleicht sogar gestützt durch deutsche Gewerkschaften, die gerne z. B. Voith-Turbinen aus Baden-Württemberg nach Chile verkauft sehen, finden keine Schlagzeilen auf der ersten Seite der Medien.
Schlimm ist auch, daß vor allen Dingen deutsche Menschenrechtsorganisationen nicht zur Kenntnis nehmen, daß es neben Sonnen - und Windenergie und neben einer notwendigen Dezentralisierung (Kraftwärmekopplung) der Energieversorgung noch andere Energieversorgungsmethoden gibt, die freilich erst entwickelt werden müssen. Die Menschenrechtsorganisationen bekämen allerhand Schubkraft wenn sie z.B. das Projekt Energie aus Umgebungswärme (Werkstatt für Dezentrale Energieforschung e.V., Pasewaldtstraße 7, 14169 Berlin) nachhaltig unterstützen würden.

Wer kennt nicht Erich Kästners Das fliegende Klassenzimmer. Vor kurzem schlief mein 10jähriger Patensohn Nils bei mir und bat mich, ihm zum Einschlafen was vorzulesen. Ich nahm das Buch in die Hand und entdeckte in der zweiten Abteilung des Vorwortes den nachstehenden Absatz.

Es ist nämlich gleichgültig, ob man wegen einer zerbrochenen Puppe weint, oder weil man, später einmal, einen Freund verliert. Es kommt im Leben nie darauf an, worüber man traurig ist, sondern nur darauf, wie sehr man trauert. Kindertränen sind, bei Gott, nicht kleiner und wiegen oft genug schwerer als die Tränen der Großen. Keine Mißverständnisse, Herrschaften! Wir wollen uns nicht unnötig weich machen. Ich meine nur, daß man ehrlich sein soll, auch wenn´s weh tut. Ehrlich bis auf die Knochen.

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Bleiben wir in Lateinamerika und den Menschenrechten. Lateinamerika steht ja zur Zeit im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Zum Beispiel das ständige Auf und Ab der wirtschaftlichen Prosperität in Brasilien; ein reiches Land, welches immer dann in das Visier multinationaler Währungsspekulationen gerät, wenn es beginnen könnte, die überaus großen sozialen Ungerechtigkeiten wenigstens annähernd und zaghaft lösen zu wollen. Abgesehen davon, daß die inneren Menschrechtsverletzungen, wie z.B. sklavische Abhängigkeit landloser Bauern vom Großgrundbesitz, schwer genug sind, führt die multinationale Spekulation zu so großen sozialen Nöten, daß auch dadurch die Menschenrechte verletzt werden.
Ein besonderer Hit der umsatzgeilen Medien ist zur Zeit das Erdbeben in Kolumbien. Dieses nicht steuerbare Naturereignis hat die ohnehin schon arme Bevölkerung zusätzlich in Schwierigkeiten gebracht. Ich hatte ursprünglich den nachfolgenden Text für die Zeitungs - und Drucksachenschau vorgesehen, aber da ich die Menschenrechte nun zum Thema mache, soll die Inhaltsbeschreibung einer beachtenswerten Veröffentlichung bereits auf der zweiten Seite stehen. Es handelt sich um die Schrift Kein Friede ohne Gerechtigkeit - Menschenrechte in Kolumbien; Herausgeber der Broschüre ist die Kampagne für das Leben - Rüstungsexporte stoppen, Bismarckring 3, 65183 Wiesbaden und Deutsche Menschenrechtskoordination Kolumbien/ Kolumbiengruppe e.V., Postfach 1347, 72603 Nürtingen; dazu kommen noch eine Reihe von Mitherausgebern; die Broschüre kostet DM 6,00, hat 27 Seiten und ist DIN - A4 groß. Ich schrieb dazu folgende Zusammenfassung: Kolumbien ist uns aus den Nachrichten hauptsächlich als Drogenland bekannt. Mit der vorliegenden Broschüre erfahren wir einiges mehr, z.B. über den Zusammenhang zwischen den seit Jahrzehnten wütenden Bürgerkrieg, den us - amerikanischen Multis, den Waffenhandel, auch der deutschen Waffenschmieden, und dem Versagen deutscher Diplomatie (Politik). Ich bin nach der Lektüre dieser Broschüre mehr denn je der Überzeugung, daß der Handel mit Drogen freigegeben werden sollte, auch wenn das zu Konflikten mit der us - amerikanischen Politik führen würde. Die Drogen Alkohol und Tabak erfreuen sich ja auch weltweiter Akzeptanz und sind nicht minder schlimm. Das menschliche Elend in Kolumbien, welches in meiner Zusammenfassung gar nicht so deutlich geschildert wird, ist enorm. Nun könnten wir Deutschen sagen, was geht uns das Elend anderer Völker an, sie sollen gefälligst selbst dafür sorgen, daß sie ihre Rechte auf ein menschengerechtes Leben gegenüber ihren Machthabern selber durchdrücken. Richtig - aber wir Deutschen sind jedoch überall dort beteiligt, wo es darum geht, die Rechte der Menschen noch mehr zu verschlechtern. Unser schlechtes Gewissen versuchen wir dann immer durch Katastrophen - Einsätze und Spenden zu beruhigen.

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Bleiben wir bei Lateinamerika. Ich meine, beobachten zu können, daß die Zahl der Gruppen und damit auch die Zahl der Menschen in Deutschland zunimmt, die die deutschen Verstrickungen in menschenrechtsfeindliche Praktiken in Lateinamerika aufdecken und die dagegen, auch in Deutschland, vorgehen. Die Veröffentlichungen nehmen zu. Vor mir liegen drei Ausgaben der AUFBRÜCHE - Impulse aus dem gewaltfreien Kampf in Lateinamerika und zwar zwei Ausgaben aus dem Oktober 1998 und eine Ausgabe aus November 1998. Herausgeber ist der Internationale Versöhnungsbund, Österreichischer Zweig, Lederergasse 23/III/27, A-1080 Wien. Das Jahresabonnement kostet DM 10,00. In den ersten beiden Ausgaben geht es um die wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte die z.B. durch unsere großen Textil - Handelshäuser bestimmt werden, die unter äußerst miserablen Bedingungen in Lateinamerika fertigen lassen. Auch Sportschuhe z.B. werden, mit Hilfe von Kinderarbeit, in Lateinamerika hergestellt. Die europäischen Schnäppchenjäger, die Endverbraucher, müssen sich darüber klar sein, daß für ein Billigangebot unter Umständen Menschen in anderen Ländern förmlich "über die Klinge springen müssen". In der Novemberausgabe wird der Waffenhandel und der notwendige Schuldenerlaß thematisiert.

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Zum Schluß der unvollständigen Menschenrechtsbetrachtungen komme ich auf ein Thema, welches mich persönlich emotionalisiert hat, weil die Menschenrechtsverstöße in meiner Stadt geschehen. Auch hier gibt es viele Menschen - nicht genug Menschen - die sich damit befassen. Vor allen Dingen macht die Broschüre, deren Inhaltsangabe ich auch ursprünglich für die Zeitungs - und Drucksachenschau vorgesehen hatte, deutlich, daß solche Menschenrechtsverstöße, ich schreibe, nach Worten ringend, in einer besonderen Atmosphäre geschehen, z.B. der Atmosphäre der Bürokratenseelen, die, auch durch den täglichen Papierwust, so abgestumpft sind, daß sie gar nicht mehr bemerken (wollen), wie sie gegen die Menschenrechte verstoßen. Die politischen Vorgaben sind darüber hinaus völlig unzulänglich. Es handelt sich um die Broschüre Ausländische Kinder allein in Berlin; herausgegeben von Pax Christi/Berlin, Asyl in der Kirche und Internationale Liga für Menschenrechte; Adresse der Internationalen Liga für Menschenrechte Berlin e.V. lautet: Oldenburger Straße 33, 10551 Berlin, Tel. (030) 396 21 22, FAX (030) 396 21 47; Preis der Broschüre DM 10,00, 64 Seiten, DIN - A 5 groß. Ich schrieb dazu: Diese verdienstvolle Broschüre beschreibt, auch mit Fallbeispielen, den Leidensweg ausländischer Kinder durch den deutschen Behörden - und Rechtsdschungel. Bei den ausländischen Kindern handelt es sich hier um solche, die aus eigenen Antrieb alleine nach Deutschland kommen, von ihren Eltern oder Verwandten geschickt werden oder mit "Hilfe" von Schleppern zum Stehlen oder Straßenstrich (der Straßenstrich hat auch deutsche Nutzer) nach Deutschland verbracht werden. Es handelt sich fast ausnahmslos um Kinder aus Bürgerkriegsgebieten oder um Kinder aus den ärmsten Ländern unserer Erde. Es sind Kinder, also Menschen unter 18 Jahren, meistens sogar unter 16 . Der jüngste Flüchtling in dieser Broschüre ist eine 12jährige Vietnamesin. Sehr eindrucksvoll werden die Rechtsverstöße z.B. gegen die Internationale Kinderkonvention, durch die deutschen Behörden einschließlich durch die Gerichte geschildert. Die Kinder sind weitgehend, auch vor den deutschen Gerichten, vogelfrei, d.h., die deutsche Justiz sanktioniert eine Verwaltungs- und Rechtspraxis, die von einer menschlichen Gleichgültigkeit ist, die kaum zu ertragen ist. Was für einen miesen Charakter müssen die Amtsvormünder des zuständigen Berliner Bezirksamtes Treptow, die Juristen und Polizisten haben, daß sie wissentlich gegen Gesetze verstoßen, um sich an Kindern zu vergehen? Ich gebrauche diese Formulierung absichtlich so, um eine direkte Beziehung zu dem sexuellen Mißbrauch von Kindern herzustellen. Die psychischen Folgen des Amtsmißbrauches sind nämlich ähnlich der Folgen eines sexuellen Mißbrauches. Wir Deutschen erweisen uns einen Bärendienst, wenn wir mit Menschen so umgehen. Die Bezirksverordneten - Versammlung von Berlin - Treptow soll laut Broschüre mit Mehrheit die Bezirksverwaltung aufgefordert haben, die Praktiken der Amtsvormünder zu ändern. Eine deutsche Verwaltung scheint es nicht nötig zu haben, sich an Parlamentsbeschlüsse zu halten. Der Bürger - nicht nur von Berlin - Treptow - ist gefragt, ob er sich Menschenrechtsverstöße dieser Art leisten will. Besorgen Sie sich die Broschüre! Sie bekommen einen ganz anderen Blick auf die deutschen Behörden!

 
     
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