Dieter Kersten / September 2003    
Deutsche Bahn  
     
  Verkehrspolitik ist ein sehr altes Thema. Anfang der 70iger Jahre war ich einer der Initiatoren für das Bürgerkomitee Verkehrspolitik im damaligen West-Berlin: Jedes zweite Auto ist zuviel war unsere Parole; wir hatten es schon damals satt, vom Lärm und Gestank und vom ständigen Straßenbau belästigt zu werden. Die meisten West-Berliner gehörten nicht zu den Bevorzugten der Vorstädte und die meisten Berliner von heute, wie auch andere Großstädter, gehören nicht zu den Bevorzugten einer zersiedelten Landschaft, wo, auf Kosten der Steuerzahler, insbesondere derjenigen, die es sich nicht leisten können, durch Direktinvestitionen und Steuervorteile, ein Einfamilienhaus nach dem anderen verkehrsberuhigt gebaut wird. Bei diesen Siedlungen kalkuliert die Autoindustrie mindestens zwei Autos pro Familie, weil, von einigen Ballungsgebieten abgesehen, sich die Deutsche Bahn immer mehr aus dem Verkehrsangebot zurückzieht.
Einiges von unserem nunmehr über dreißig Jahre alten historischen Bürgerkomitees Verkehrspolitik bzw. der Umweltfront finden Sie in der Broschüre von Heinz Paarmann, die ich schon lange in der Bücherliste anbiete. Ich habe das Angebot noch einmal in die Rubrik NEU in unserem Anbot aufgenommen.
Hartmut Mehdorn, der Vorstandsvorsitzende der zur Zeit noch bürgereigenen Deutschen Bahn AG., ist es gelungen, durch Ausdünnung des Angebots und durch den gezielten Fahrpreisbetrug, den mobilen Menschen noch mehr als sonst in das Auto zu zwingen. Damit folgt Mehdorn, so scheint es, sowohl seinen eigenen Interessen als auch denen des Autokanzlers Schröder. Sein Vertrag ist deshalb vom Aufsichtsrat im Auftrag der Bundesregierung bis 2008 verlängert worden. Würde Herr Mehdorn vor Ablauf des Vertrages entlassen werden, muß die Deutsche Bahn ihm eine Abfindung in unbekannter Höhe zahlen. So eine Zahlung erfolgt auch dann, wenn sich endlich herausstellen würde daß Manager Mehdorn unfähig ist, ein sozial und politisch so sensibles Unternehmen zu führen.
Corell Wex schreibt in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 30. Mai, nach der Pressekonferenz, auf der, auf Druck der Bürger hin, einige der schlimmsten Fahrpreis-Hindernisse für potentielle Bahnbenutzer beseitigt worden sind, unter der Überschrift Noch keine Weichenstellung u.a. folgendes: > Wenn die Deutsche Bahn tatsächlich mehr Kundenfreundlichkeit und mehr Service leisten will, müßte sie nicht nur handwerkliche Fehler beseitigen, sondern grundsätzlich ihren Kurs überdenken. In der Vergangenheit wähnte man den Luftverkehr als Hauptkonkurrenten und konzentrierte sich auf die angeblichen Hauptstrecken, ohne zu bedenken, daß 90 Prozent der Fahrten im Nahverkehr bis 50 Kilometer stattfinden. Die Systemvorteile der Bahn, die gerade im spontanen Fahren liegen, gingen verloren, und so wurde die Bahn gerade nicht das, was sie hätte sein können - eine attraktive Alternative zum Auto. Statt solche Marktbedürfnisse angemessen zu berücksichtigen, konzentrierte sich der Vorstand auf Fernverbindungen im Personen-und Güterverkehr und auf teure Neubaustrecken für Geschäftskunden. Andere Fahrgäste dagegen warteten vergebens auf Verbesserungen, etwa die Beseitigung der nach wie vor bestehenden 2000 Langsamfahrstellen. Statt dessen nutzte man das Elbehochwasser, um einige Nebenstrecken nicht mehr aufzubauen. Auch die Personalentlassungen der vergangenen Jahre, bei Lokomotivfahrern und beim Reparaturpersonal, verlangen ihren Tribut. Betroffen sind besonders die 36 bundesdeutschen Verknüpfungspunkte, die immer wieder für Verspätungen sorgen. Statt die Probleme ernsthaft anzugehen, wollte man offenbar die Kunden den Bedürfnissen der Bahn anpassen. Das neue Preissystem sollte vor allem der optimalen Auslastung der Züge dienen und nicht den Wünschen der Reisenden. Die beiden verantwortlichen Vorstände (D.K. - von Mehdorn und dem Aufsichtsrat entlassenen Vorstände) kamen von der Lufthansa und übertrugen phantasielos die dort gelernten Rezepte auf einen völlig anderen Verkehrs- träger. Die Vorteile eines großen (Anmerk. D.K. - und vom Steuerzahler in hundertfünfzig Jahren mühsam finanzierten Streckennetzes), gut getakten Netzes, in dem Verkehrsleistung vorgehalten wird, wurden systematisch mißachtet, weil weder Politik noch Management die eigentlichen Aufgaben der Bahn begriffen haben. Statt dessen ging es seit der Bahnreform 1994 immer wieder darum, mit aller Macht ein börsentaugliches "Unternehmen Zukunft" entstehen zu lassen. Daraus dürfte nun auf längere Sicht nichts werden. <
Der Fettdruck im zitierten Text stammt von mir. Die entlassenen Lokomotivführer, von der Deutschen Bahn kostenaufwendig und gut ausgebildet, sind zum Teil zur Schweizerischen Bundesbahn gegangen, die, privatisiert, aber flächendeckend vorhanden, Gewinne einfährt. Die Deutsche Bundesbahn, flächendeckend schon lange nicht mehr vorhanden, hat Verluste = 493 Millionen Euro im Jahr 2002.
Nach meiner Meinung hat das Auto nur eine Aufgabe in der Zukunft: Zubringer für Öffentliche Verkehrsmittel zu sein. Das Auto darf und kann kein Wachstumsträger sein, da dort der Wirtschafts- und Umwelt - Kollaps am wahrscheinlichsten ist. Ohne in diesem Beitrag mit Zahlen aufwarten zu können: schon eine prozentual gleiche individuelle Nutzung eines Pkws in der aufstrebenden Industrienation Volksrepublik China würde einen weltweiten Umweltkollaps herbeiführen. Wir haben in Deutschland für eine ebenfalls weltweite, beispielhafte und menschengerechte Verkehrspolitik noch eine Chance. Es kommt auf den kulturell bewußten Umgang mit machbarer Technik an.
Da der Luftverkehr in dem Text von Corell Wex eine Rolle spielt, gestatten Sie mir bitte einige Bemerkungen dazu: ich bin dafür, den innerdeutschen Flugverkehr abzuschaffen. Das Bedürfnis nach schnellen Reisen kann auch von der Deutschen Bahn gedeckt werden, auch ohne Transrapid. Bestenfalls sollte untersucht werden, ob es wirtschaftlich ist, einen Luftschiff-Verkehr (Zeppelin) anzubieten. Der Zeppelin ist auf jeden Fall umweltfreundlicher als die Düsenflugzeuge.
Der Transrapid ist deswegen eine "schlechte" Technik, weil er eigene Trassen für den Betrieb benötigt. Die Verkehrsverantwortlichen der Volksrepublik China, genauso technik-wie Transrapid-begeistert die Fans bei uns, haben das, was wir noch erkennen müssen, längst erkannt. Die Bahnstrecke Schanghai - Peking wird konventionell ausgebaut. Dann können nämlich auch Güter transportiert werden. Es sind also immer praktische Gründe, die zu einer menschengerechten Verkehrspolitik führen.
Anmerkung 1: Am Freitag, den 18. Juli fuhr ich um Uhr 17.45 mit dem ICE 1518 nach Hamburg. Der Fahrkartenverkäufer, etwa ein Woche vor der Fahrt, im Reisezentrum Berlin-Zoologischer Garten, bemerkte beim Platzkartenkauf mit hochgezogenen Brauen, daß er nur noch einen Gangplatz hätte. Der Zug wäre voll; es wäre eben Reisezeit. Real war der Zug jedoch nur etwa zu einem Drittel besetzt, viele Fensterplätze waren frei, und der Platz neben mir war zwar als "besetzt" gemeldet, aber ebenfalls leer.
Am Montag, den 21. Juli fuhr ich um Uhr 11.00 mit dem EC 175 Alois Negrelli zurück nach Berlin. Der Zug war zu 95 % ausgelastet; der reservierte Platz gegenüber war nicht besetzt.
Die Züge hatten die übliche Deutsche- Bahn-Verspätung, aber keine außergewöhnliche, wie für die Strecke nach und von Hamburg von den Medien einen Tag vorher angekündigt. Was diese Fehlinformation bedeuten sollte, weiß ich nicht.
Anmerkung 2: Am 30. Juli fuhr ich in den Urlaub. Der ICE 1515 hatte in Augsburg soviel Verspätung, daß der ebenfalls verspätete ICE 119 nach Prien zwar noch erreicht werden konnte, aber auf einem anderen, entfernten Gleis stand, wobei mir die nicht geplante Kofferschlepperei sehr schwer fiel. Nichtautofahrer müssen so etwas eben ertragen; das haben sie davon. Herr Mehdorn benutzt seinen Vorstands-Mercedes; da spielt das alles keine Rolle. Seine Sichtweise ist eine ganz andere. Begründet wurden diese Verspätungen mit dem "notwendigen Abschalten der Neigetechnik". Kann mir jemand erklären, weshalb die Neigetechnik in Italien funktioniert, aber nicht in Deutschland?
Auf der Rückfahrt stieg ich am 13. August in München in den ICE 1516. Dieser Zug hatte bei Ankunft in Berlin 60 Minuten Verspätung. Als Grund wurde wieder das "Abschalten der Neigetechnik" angegeben, aber, was das Schärfste war, es wurde behauptet, daß sich die Schienen durch die Hitze verbogen hätten. Das Volk, welches rundum im vollbesetzten Zug saß, glaubte dieser Angabe. Spöttisch kann ich nur mutmaßen, daß die fleißigen Bahnmitarbeiter vorweg liefen und mit großer Selbstaufopferung die Schienen wieder geradebogen, denn der Zug fuhr ja weiter, mit längeren Standzeiten zwischendurch . ..... Ich habe diese Geschichte einigen Leuten erzählt und ungläubiges Erstaunen bis Belehrung geerntet. Die Belehrung: die modernen Züge brauchen genaue Spurbreite (Spursicherheit). Das moderne Schienensystem verträgt die große Hitze nicht. Abgesehen von meinen Zweifeln an dieser Begründung - mir scheint dann aber, daß die Modernisierung der Bahn von technischen Fehlentscheidungen begleitet worden ist. Siehe die in Italien funktionierende Neigetechnik.
Ich habe versucht, über die Neigetechnik im Internet zu recherchieren. Die Mehrzahl der Berichte sind Lobhudeleien, einige wenige teilen Schwierigkeiten mit. Eine technische Auskunft habe ich nicht gefunden.
Reisen haben einen Lerneffekt!! Ich wußte z.B. nicht, daß es bei der Deutschen Bahn in den einzelnen Bundesländern, insbesondere in den Flächenländern, länderüberschreitende Ländertickets gibt, die meistens 18 Stunden und für fünf Personen und u.U. mehr gelten, und zwischen € 21,- und € 25,- kosten. Dieses Ländertickets werden, so mein Eindruck, wenig beworben, sind deshalb nicht besonders bekannt und werden nicht immer vom Bahnpersonal angeboten. Wenn Sie mit dem Bayernticket für € 21,- nach München fahren, gilt es auch für die öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt. Sie können mit den Bayerticket auch nach Salzburg fahren.
 
     
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