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Im
Editorial der Januar-Ausgabe habe ich Oberstleutnant Dipl.-Päd. Jürgen
Rose zitiert, der am 19. Dezember 2003 in der Wochenzeitschrift FREITAG
unter der Überschrift > Den Bruch riskieren
< für ein Ausscheiden Deutschlands und Europas aus dem militärischen
Bündnis mit den USA eintrat. Rose schrieb, daß die militärische
Globalisierung nicht unsere Politik sein darf. In der FREITAG - Ausgabe
vom 16. Januar 2004 setzt Rose seine Betrachtungen fort. Die Überschrift
lautet jetzt > Vom Sieger entfernen < und die Unterüberschrift
> Den Bruch riskieren (II): Wie die EU die imperialen Ambitionen
der USA im Irak und anderswo durchkreuzen könnte - Überlegungen
zu einer strategischen Alternative. < Lassen Sie mich
einige Passagen zitieren: > Wenn Amerika geo-ökonomische Konkurrenz
bevorzugt mit militärischen Mitteln austrägt, sollte Europa
mit adäquaten Wirtschafts - und Handelsstrategien reagieren, indem
es beispielsweise versucht, das nach dem Nahostkrieg von 1973 etablierte
Petrodollar-Kartell der USA aufzusprengen. Gelänge es, mit Iran und
Irak exklusive Beziehungen aufzubauen und beide Länder zu bewegen,
ihr Öl nur noch in Euro zu fakturieren, wäre dafür eine
entscheidende Ausgangsbasis geschaffen, die durch eine Einbeziehung Libyens
noch befestigt werden könnte. Mit diesem von den USA jahrzehntelang
als >> Schurkenstaat << diffamiertem Land unterhalten etliche
Staaten Europas ohnehin bereits konstruktive Beziehungen. Unentbehrlich
für eine solche Strategie wäre Rußland, das über
seine spezifischen Interessen gewonnen werden könnte. West- und Mitteleuropa
brauchen aus Rußland zuvörderst Rohstoffe, Öl und Erdgas.
Die Russische Föderation benötigt im Gegenzug Kapital und Technologie
für die Modernisierung des Landes und dürfte daher einem Assoziierungsvertrag
mit der EU durchaus aufgeschlossen gegenüber stehen - vielleicht
der Beginn einer >> wunderbaren Freundschaft <<. Auch sollten
die Westeuropäer mit Blick auf das dramatisch vernachlässigte
Instrumentarium friedlicher Konfliktbewältigung das russische Interesse
an der OSZE wieder stärker schätzen lernen. Verglichen mit den
USA, deren Interesse an der OSZE gegen Null tendiert, scheint Rußland
ein in dieser Hinsicht erheblich verläßlicherer Partner zu
sein. Würde also die EU privilegierte Beziehungen zu den Öllieferstaaten
Iran, Irak und Libyen aufbauen sowie eine strategische Partnerschaft mit
Rußland eingehen, könnte dies den Anfang vom Ende des Imperium
Americanum einläuten. Die Tage für den exklusiven Status
des US-Dollars als Weltleitwährung wären gezählt, der Euro
käme als funktionales Äquivalent in dessen Position, so daß
ein jähes Abschwellen des Kapitalstroms in Richtung USA - derzeit
liegt er bei anderthalb Milliarden Dollar pro Tag - unvermeidlich wäre.
Damit gerieten die USA als weltgrößter Schuldner in eine prekäre
ökonomische Abhängigkeit von ihren Gläubigern in Europa
und Asien. Nach fast 60 Jahren globaler ökonomischer Dominanz der
USA seit dem Ende des II. Weltkrieges böte sich Europa erstmals die
reale Aussicht, den Spieß um zudrehen und nunmehr seinerseits die
Außen-und Wirtschaftspolitik der USA zu beeinflussen. Nicht mehr
die Federal Reserve mit Alan Greenspan, sondern die EZB mit Jean-Claude
Trichet fungierte als Taktgeber der internationalen Finanz - und Währungspolitik.
<
Das ist genau das Szenario einer aktiven Neutralität
unseres Landes und Europas, welches mir vorschwebt, ergänzt durch
eine totale Abrüstung bis hin zu einem Verbot der Produktion von
Waffen jedweder Art. Dafür sollten wir unsere guten Dienste überall
auf dieser Erde für die Katastrophenbewältigung im weitesten
Sinn anbieten.
Die Europäische Zentralbank, und auch das ist für den Frieden
wichtig, brauchen wir nur nach außen, solange es eine die Weltherrschaft
beanspruchende Währung wie den Dollar gibt. Sonst sind regionale,
umlaufgesicherte Währungen wichtiger als ein Euro, der die Herrschaft
des Dollars durch seine Herrschaft ersetzen soll. Wir brauchen keine Währung,
die die Erde beherrscht. Wir brauchen ein internationales Geld-und Wirtschaftssystem,
das Frieden schafft und erhält.
Was sich zur Zeit "im Namen der Globalisierung" friedlos und
sozial unverträglich auf dieser Erde abspielt, hat womöglich
die gleiche Sprengkraft von tausend Atombomben, mit allen Nach-und Nebenwirkungen.
Die ökonomischen Wissenschaften sind gefragt, Lösungen zu erarbeiten.
Ebenfalls am 16. Januar, auch in FREITAG, berichtete Wolfgang Müller
über das Weltsozialforum 2004 in Indien unter der Überschrift
> Ihr seid einfach zu teuer < und unter
der Unterüberschrift > Eine neue Welt der Globalisierung:
Konzerne verlagern qualifizierte Jobs in Niedriglohn-Länder wie Indien
<. Auch aus diesem Beitrag zitiere ich einige Absätze: > In
den vergangenen Jahrzehnten haben Unternehmen vor allem einfache Tätigkeiten
und lohnintensive Fertigungen verlagert. Textilindustrie, Schuhproduktion,
einfache Montagetätigkeiten oder die Fertigung von Kabelbäumen
für die Autoelektrik - das sind die bekanntesten Beispiele. Mittlerweile
rollt die nächste Welle der Globalisierung der Arbeitsmärkte.
Zunehmend werden auch Bürotätigkeiten und qualifizierte Dienstleistungen
in Niedriglohnländer verlagert. So checken etwa Radiologen im indischen
Mumbei (früher Bombay) die Ergebnisse der Computertomographie von
Patienten aus dem Massachusetts General Hospital in Boston/ USA. Die CT-Bilder
gehen digital nach Mumbai, und von dort werden die Arztberichte wieder
nach Boston übermittelt. Die New Yorker Strafmandate für Falschparker
werden in Ghana sortiert. Die Daten von arbeitslosen Wohlfahrtsempfängern
im US-Bundesstaat New Jersey wurden in Indien erfaßt, bis ein öffentlicher
Aufschrei in den USA den Unsinn stoppte. Der Dienstleistungssektor in
den USA wird nach einer Studie von Forrester Research
bis zum Jahre 2015 etwa 3.3 Millionen Arbeitsplätze verlieren. Betroffen
sind nicht nur einfache Tätigkeiten in Call Centern, sondern auch
anspruchsvolle Aufgaben im Einkauf, bei der Aktienanalyse, der Bearbeitung
von Versicherungs-Schadensmeldungen oder in der Buchhal tung. Bis 2005
rechnet die Beratungsfirma Gartner für die USA mit einem Verlust
von zehn Prozent der Arbeitsplätze bei den Produzenten von Informationstechnik
(IT) und fünf Prozent bei den IT-Anwendern. Jeder vierte der 500
größeren US-Konzerne verlagert gegenwärtig Jobs nach Übersee.
Auf den Philippinen werden Reservierungen der Fluglinie Delta und Versicherungsfälle
des US-Konzerns AIG betreut. PC-Weltmarktführer Dell unterhält
ein Kundendienstzentrum für den US-Markt in Indien. Auch europäische
Unternehmen wollen von diesen neuen Formen der Kostensenkung profitieren.
Für die Finanzdienstleister des Kontinents erwartet Deloitte
Consulting in den kommenden Jahren die Verlagerung von 700 000
IT-Arbeitsplätzen. Die Deutsche Bank will nach eigenen Angaben über
10 000 solcher Jobs "exportieren". Halbleiterhersteller Infineon
verlagert gerade Teile der Buchhaltung nach Portugal und läßt
Zentren für das Chip-Design in Indien und China aufbauen beziehungsweise
aufstocken. Software-Monopolist SAP will die Entwicklung in Bangalore/
Indien demnächst auf 2000 Mitarbeiter erweitern. Im Sommer vergangenen
Jahres ist eine Entscheidung des Siemens-Zentralvorstandes bekannt geworden,
daß die mit 30 000 MitarbeiterInnen bislang auf Deutschland konzentrierte
Softwar-Entwicklung des Konzerns nicht mehr an "teuren Standorten"
betrieben werden soll. Konzernweit werden zwei Siemens-Töchter die
Verlagerung an "günstigere Standorte" steuern - die SISL
mit Hauptsitz in Wien und Dependancen unter anderem in Bratislava und
China. Schon jetzt entwickeln 500 Ingenieure in Temesvar/Rumänien
für die Siemens-Tochter VDO Autoelektronik - zu zehn Prozent der
Personalkosten ihrer deutschen Kollegen. <
Ist Frieden mit einer solchen Wirtschaftspolitik zu wahren oder ist der
Frieden durch eine solche Wirtschaftspolitik gefährdet? Industriewaren
müssen verkauft werden. Was passiert, wenn der Arbeiter in Rumänien
oder China so wenig verdient, daß er sich nachwievor nichts leisten
kann und der Arbeiter in Deutschland immer weniger verdient, daß
er schlußendlich auch nichts mehr kaufen kann? Die Gewinn-Maximierung
der geldgierigen Konzerne bricht irgendwann zusammen, wenn die Kunden
fehlen.
Daß die Gewinnmaximierung auch die Dienstleistungssparten erreicht
hat, das wundert nicht. Herr Bundeskanzler, Ihre Dienstleistungsgesellschaft
Deutschland findet nicht statt; sie wandert aus. Die elektronischen Techniken
erlauben ein neues Wirtschaften, und dieses neue Wirtschaften benötigt
ein neues, soziales, Denken. Aber nirgendwo sehe ich Ansätze dazu.
Ich habe keine "Patent"-Lösungen für eine "neue
(Welt-) Wirtschaft". Was makroökonomisch da und dort anders
gestaltet werden kann, das ist relativ leicht zu schildern, was aber weltwirtwchaftlichmenschlich
geschehen muß, um allen Menschen auf dieser Erde gerecht zu werden,
das müssen wir mit unserem Verstand noch erkunden.
Die ökonomischen Wissenschaften geben keine Antwort, ja, ich habe
den Eindruck, daß sie sich noch nicht einmal Mühe geben. Dasselbe
gilt für Gewerkschaften und Kirchen.
Und die "Unternehmer"? Bei den Konzernen gibt es nur Unternehmer-Funktionäre,
die eigentlich "Unterlasser" sind. Sie kassieren in schlechten
wie in guten Tagen und sind für nichts verantwortlich. Es sind meistens
sehr stimmgewaltige Personen, aufgeblasen, und wenn man in sie hinein
piekt, kommt noch nicht einmal heiße Luft. Die Stimme des Mittelstandes
ist deshalb immer so piepsig dünn, weil hier am meisten noch persönlich
haftende und verantwortliche Unternehmer tätig sind. Sie sind traditionell
überlastet und müssen die Gegenwart mit all ihren Schwierigkeiten
und Widersprüchen im täglichen Geschäft bewältigen.
Ich hoffe auf die klugen Menschen, irgendwo dazwischen, die Samiskat-Menschen
(Samiskat=Außenseiter, Untergrund), die außergewöhnliches
denken können, außerhalb des Mainsteams, des Üblichen.
Auch im Kommentar-und Informationsbrief sollte über dieses Thema
diskutiert werden.
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