Dieter Kersten / Oktober 2004    
Wirtschaftsdemokratie?  
     
 

Die IHKs (Industrie-und Handelskammern) sind "Anstalten des öffentlichen Rechts" und, darauf legen sie selber sehr großen Wert, eine "demokratische Selbstorganisation (bzw.-verwaltung) der Deutschen Wirtschaft". Jede IHK hat ihren Amtsbezirk. In Deutschland gibt es 82 IHKs.

In diesem Jahr fanden wieder Wahlen zur IHK-Vollversammlung Berlin statt. Dazu gab es sogar einen "Wahlkampf" innerhalb der einzelnen Wahlgruppen. Jörg Schaeffer, Vorstandsmitglied einer kleinen mittelständischen Aktiengesellschaft, hatte sich diesmal um einen Sitz beworben und ist sogar gewählt worden. Es standen 14 Kandidaten zur Wahl. Jörg Schaeffer hat den 1. Platz in seiner Wahlgruppe errungen. Dort stand auch das Siemens-Vorstandsmitglied Jürgen Radomski zur Wahl. Herr Radomski fiel durch. Er bekam lediglich 41 von 848 Stimmen. Das ist der 12. Platz. Die Wahlgruppe hat sechs Vertreter in der Vollversammlung gewählt.

Die IHK-Vollversammlung Berlin wählt das Präsidium. Was Jörg Schaeffer sofort auffiel, daß war die als selbstverständlich erwartete Einmütigkeit bei der Wahl. Gegenvorschläge für das Präsidium sind nicht vorgesehen. Das alte Präsidium schlägt das neue Präsidium vor. Die Demokratie besteht darin, daß die Vollversammlung diese Praxis bestätigt. Ähnlichkeiten mit der vergangenen DDR sollen rein zufällig sein.

Die Satzung der IHK sieht vor, daß bis zu 12 Mitglieder in die Vollversammlung kooptiert werden können. Das könnte unter Umständen gut sein, wenn es notwendig sein sollte, Fachleute für bestimmte, wichtige Wirtschaftsgebiete in Entscheidungsprozesse einzubinden.

Jörg Schaeffer wies mich darauf hin, daß es eine ganze Anzahl von Ausschüssen gibt, in die auch Nicht-Vollversammlungsmitglieder berufen werden. Der fachliche Sachverstand kann also auch auf diese Art eingebunden werden.

Was ein demokratisches Stück aus dem Tollhaus ist, daß ist die Absicht, das durchgefallene Siemens-Vorstandsmitglied nach der Kooption in die Vollversammlung in das Präsidium zu wählen welches ihn dann zum Vizepräsidenten der IHK wählen will. Ein Schlag ins Gesicht derjenigen Mehrheit, die Herrn Radomski nicht gewählt haben. Es scheint nicht so zu sein, daß Herrn Radomski diese Geschichte peinlich ist - was soll's auch: Demokratie ist das, was die Herren (meistens sind es Männer) beschließen.

Über Jürgen Radomski habe ich nichts weiter gefunden, weder im Internet noch anderswo. Der Manager wohnt mit Familie in Erlangen. Frau Radomski ist offensichtlich in die Erlanger Kulturszene eingebunden. In der Berliner Morgenpost vom 13. August 2004 schreibt Robert Schwaldt unter der Überschrift Siemens stärkt Standort Berlin und unter der Unterüberschrift Vertriebszentrale für Deutschland zieht in die Hauptstadt - Vorstand Radomski wird IHK-Präsident u.a. folgendes: > Der Siemens-Konzern bündelt seinen Deutschland-Vertrieb in Berlin. Die neue Vertriebsorganisation soll mit Beginn des kommenden Geschäftsjahres am 1. Oktober 2004 starten. Etwa 120 Mitarbeiter müssten von anderen Standorten nach Berlin umziehen, heißt es in Unternehmenskreisen. Wer die Deutschland-Organisation in der Hauptstadt führen soll, steht noch nicht fest. In Berliner Wirtschaftskreisen wird davon ausgegangen, dass in Zukunft auch wieder ein Mitglied des Zentralvorstands von Siemens in der Hauptstadt residiert, wofür es aber keine Bestätigung gab. < Der letzte Absatz des Artikels gehört der Sache nach natürlich nicht zu dem Anspruch von Jürgen Radomski, Vizepräsident der IHK zu Berlin zu werden, ist aber sehr interessant. Er lautet: > Das Hausgerätewerk von Bosch-Siemens in Nauen (Havelland) baut unterdessen Personal ab. Wie viele Mitarbeiter betroffen sind, ist nach Angaben von Geschäftsführer Herbert Exler noch offen. Im Schnitt würden in Nauen vor allem mit der Produktion von Wäschetrocknern und Waschmaschinen pro Jahr 630 Mitarbeiter beschäftigt. Bis zu 150 könnten gekündigt werden, weil die Fertigung von Wäschetrocknern 2005 auslaufe. Produziert werde künftig in Polen. Der Standort Nauen bleibt aber erhalten. < Ersparen Sie mir bitte jeden Kommentar.

Herr Schaeffer berichtet mir, daß er als Mitglied der Vollversammlung Änderungsanträge und Anträge zur Geschäftsordnung vor Beginn der Versammlung einreichen muß. Während der Versammlung hat er zwar begrenztes Rederecht, kann aber an den Abstimmungen nichts mehr ändern. Wenn er z.B. Hern Radomski fragen will, wie viel Steuern der Siemens-Konzern in Berlin zahlt und welche Nachhaltigkeit Investitionen des Konzerns Siemens in Berlin haben, so muß er diese Fragen vorher schriftlich einreichen. Das klingt sehr nach totalitären Systemen, und nicht nach ergebnisoffenen Diskussionen.

Möglicherweise zahlt die Schaeffer AG mehr Steuern als die Siemens AG mit allen ihren Geschäftsteilen in Berlin. Die Nachhaltigkeit von Investitionen der Schaeffer AG ist mit Sicherheit größer, weil die Investitionszulagen geringer sind. Die Schaeffer AG muß ihr Risiko selbst tragen, die Firma Siemens und ihre angestellten Manager schreien, wenn es hart kommt, nach dem Staat (Steuerzahler). Der Vorstand der Schaeffer AG sind echte Unternehmer, Herr Radomski ist ein jederzeit auswechselbarer angestellter Manager.

Jörg Schaeffer und ich gehören zu den IHK-Kritikern. Wir halten die IHK als Zwangsanstalt der Wirtschaft für völlig überflüssig. Viele hoheitlichen Aufgaben können von den vorhandenen staatlichen Behörden übernommen werden. Die Beratungsfunktion, ohnehin mehr schlecht als recht von der IHK erledigt, kann privatisiert werden. Die Lehrlingsausbildung kann von den Fachverbänden übernommen werden. Der IHK-Beitrag - quasi eine "Steuer" - empfinden viele Firmen mit Recht als willkürlich und zu hoch. Die Festigung der IHKs als "Anstalten Öffentlichen Rechts" habe sie den 3. Reich zu verdanken.

In einer schon sehr weit zurückliegenden Auseinandersetzung um eine Eintragung beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg warf ich dem zuständigen Sachbearbeiter bei der IHK vor, nicht meine Interessen, also die des zahlenden Mitgliedes der IHK, zu vertreten. "Ja" - gab er ohne den Anflug von Peinlichkeit zu - "ja, wir sind der verlängerte Arm des Amtsgerichtes".

Also nix von Wirtschaftsdemokratie. Wer im Präsidium der IHK sitzt, hat das Ohr von Bürgermeistern, Senatoren und in Berlin vielleicht noch das der Bundesregierung und gehört natürlich zum Berliner Klüngel. Natürlich werden nicht immer Millionen Euros von Steuergeldern verschoben, es wird auch mal was sinnvolles erkungelt. Das wird dann als große wirtschaftspolitische Errungenschaft verkauft. Wie der Siemens-Umzug. Nichts als Nebelkerzen-Werferei!

Nachtrag: Der Siemens-Manager Jürgen Radomski ist auf der IHK-Vollversammlung am 16. September zusammen mit anderen zur Kooption vorgeschlagenen Kandidaten in die Vollversammlung gewählt worden. Bei der Wahl zum stellvertretenden Kammerpräsidenten hatte Radomski eine Gegenstimme, und zwar die von Jörg Schaeffer. Das von Jörg Schaeffer vorgeschlagene Diskussionsforum im Internet, auf dem die Mitglieder der Vollversammlung sich über die anstehenden Themen gedanklich austauschen können, wurde mit dem Hinweis abgelehnt, daß ein solches Diskussionsforum kontrolliert werden muß. Der Zeitaufwand wäre zu groß. Jörg Schaeffer hat beschlossen, von sich aus ein solches Forum einzurichten und es seinen Kolleginnen und Kollegen in der Vollversammlung anzubieten.

 
     
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