Dieter Kersten - November / Dezember 2004    
Blick über den großen Teich und zurück  
     
 

Große Teile des Textes sind bereits Anfang Oktober geschrieben worden, vor den us-amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Inzwischen ist George W. Bush wiedergewählt worden, und wenn man den veröffentlichten Wahlergebnissen Glauben schenken kann, diesmal mit einer nicht anfechtbaren Mehrheit der Stimmen.

Angesichts dieser Mehrheit von Stimmen ist Kritik an Bush auch Kritik am us-amerikanischen Volk und an deren kultur-politischer und demokratischer Verfassung. Im Editional September 2004 des Kommentar-und Informationsbriefes stellte ich einen Zusammenhang zwischen dem religiösen Wahn eines Muqtada al-Sadr im Irak und eines George W. Bush in den USA her. Von Muqtada al-Sadr hört man (zur Zeit) nichts mehr, von George W. Bush sehr viel. Welch einen Vergleich kann man in unserer Zeit noch führen? Mir fällt da nur ein Vergleich mit der Vergangenheit ein, - Adolf Hitler -, vor allen Dingen, wenn ich an das Ausmaß der Katastrophe denke. Hitler und Bush scheinen Brüder im Geiste religiöser Menschenverachtung zu sein, auch wenn Hitler sicher nicht so oft einen "Gottesdienst" besucht hatte, wie es Bush tut.

Ebenfalls in der September-Ausgabe des Kommentar- und Informationsbriefes erwähnte ich am Schluß meines Beitrages Palästina, Israel, die Massenvernichtungswaffen und der 3. Weltkrieg die Armaged-don-Sehnsucht us-amerikanischer Bevölkerungskreise. Der letzte große Krieg der Apokalypse scheint in Form einer Massenpsychose eine Todessehnsucht zu produzieren, die weit über den christlich-jüdischen Mythos der Bibel und den letzten Kampf der germanischen Götter - Götterverhängnis (auch Götterdämmerung) genannt - hinaus geht. Verbunden wird dieses Geplapper mit der ebenfalls mit religiöser Inbrunst gesprochenen Behauptung, daß nur die Globalisierung der (Welt-) Wirtschaft den Menschen Wohlstand und Erfüllung ihrer Gottessehnsucht nach "Wohlstand für alle" bringt. Dabei zeigt sich in der Realität, daß es einer bestimmten Clique um einen ungehinderten Zugang zu allen Ressourcen dieser Erde geht. In Deutschland ist die gesamte politische Klasse, voran die Bundesregierung, ein allzu williges Werkzeug einer sich daraus entwickelnden us-amerikanischen Alleinherrschaft über die ganze Erde. Wenn sich das auch nicht in der reinsten Form vollenden lassen wird, werden die Schäden an Menschen, Kulturen und Umwelt riesengroß sein - bevor die Menschheit in einen Bewußtseinswandel eintritt, der weg von der Vernichtung (dem Kampf) hin zum gemeinsamen friedlichen Handeln führt. Deshalb ist friedlicher Widerstand der Deutschen und der Europäer geboten, bis hin zur militärischen Neutralität, mit allen diplomatischen Geschick, aber auch mit aller Klarheit.

Vorerst sprechen deutsche Radiokommentatoren nach der Wahl von der us-amerikanischen "Kolonie Europa", zu dem bekanntlich auch Deutschland gehört.

Das Wahlergebnis in den USA ist ein guter Grund, über "Demokratie" nachzudenken. Ich will das in diesem Rahmen nur insoweit tun, als daß ich das Wahlmännersystem bei den Präsidentschaftswahlen als äußerst undemokratisch bezeichne. Eine Stimme kann dafür entscheidend sein, daß alle Wahlmänner (und Frauen) eines Bundesstaates verpflichtet werden, geschlossen für den Kandidaten zu stimmen, der diese eine Stimme Mehrheit errungen hat. Die anderen Stimmen fallen "unter den Tisch". Vielleicht sollte die deutsche Bundesregierung über die Goethe-Institute eine Demokratisierungs-Kampagne in den USA starten - um endlich Demokratie in den USA einzuführen.

Sie werden mich inzwischen genügend kennen, um die Ironie in diesem Vorschlag zu bemerken. Als Kritiker unser demokratischen Fehlentwicklungen kann ich diesen Vorschlag selbst nicht ernstnehmen.

Nun folgt das, was ich schon Anfang Oktober zusammengefaßt und kommentiert hatte. Am Schluß bringen ich dann noch einige Auszüge aus einem Beitrag von Jürgen Rose, Leserinnen und Lesern der NEUEN POLITIK schon bekannt und noch Oberstleutnant der Bundeswehr.

Aus einer dpa-Nachricht, die ich am 16. September im ARGENTINISCHEN TAGEBLATT gefunden habe und die die Überschrift Tiefschläge, Witze und Unterhaltung - Im US-Wahlkampf zählt Politik kaum trägt, zitiere ich folgenden Absatz. > Paradoxerweise hat der Kampf um die Sympathien der Wähler dazu geführt, daß 2004 nach Ansicht vieler Kommentatoren der schmutzigste Wahlkampf der US-Geschichte droht. Denn die Kehrseite dieser Emotionalisierung ist der Versuch beider Seiten, den Gegenkandidaten menschlich so mies wie nur möglich darzustellen. Negativkampagnen haben bereits zig Millionen Dollar verschlungen. Die Kandidaten sehen sich mit einer Flut von Diffamierungen konfrontiert: Koks-Schnupfer, Drückeberger und Lügner sind nur einige der Anwürfe, mit denen Bush konfrontiert ist. Kerry wird als Vaterlandsverräter, Folterer, Simulant und Opportunist hingestellt. Witzig finden das beide nicht. <

Nanu, frage ich mich als europäischer Zeitgenosse, warum eigentlich nicht witzig. Erscheinen mir doch die Nominierungs-Parteitage beider Flügel der us-amerikanischen Einheitspartei als schlechte Karnevals-Prunksitzungen bzw. - veranstaltungen. Nach meiner Auffassung können Kandidaten, die mit einem solchen Tamtam auf "Wahlparteitagen" gewählt werden, kein Land regieren, welches Atomwaffen hat. Stellt sich überhaupt ein intelligenter, ernst zu nehmender Kandidat der Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten?

Was unterscheidet Kerry von Bush? Seine Frau Theresa. Sie ist nämlich keine geborene US-Bürgerin! Sie scheint selber denken zu können! Vielleicht ist das entscheidend. Sollte Kerry Präsident werden, so kommt es auf die Auswahl seiner Mitarbeiter an. Da wird Kerrys Frau ein Wort mitreden wollen. Nachtrag: Adé, du schöne Hoffnung, denn Kerry ist nicht gewählt worden.

Ansonsten und was den Irak-Krieg betrifft, Kerry nimmt auch das gegen jedes Völkerrecht verstoßende Recht in Anspruch, überall auf dieser Erde und ohne irgend jemanden zu fragen zu müssen, militärisch tätig sein zu dürfen. Da ist kein Land ausgenommen, auch nicht die Bundesrepublik Deutschland.

Um es noch einmal deutlich zu machen: dieses Recht kommt nach Auffassung beider Präsidenten-Kandidaten nur den USA zu, keinem anderen Staat dieser Erde, auch nicht Rußland. In diese Richtung sind zwar die Töne moderater, aber es ist klar, nur gods own land hat dieses Privileg. Da sind sich übrigens Schröder, Fischer, Bush, Powell und Kerry, um nur einige zu nennen, sehr einig: die USA sind jederzeit berechtigt, die Menschenrechte außer Kraft zu setzen. Wer Terrorist oder ein Schurkenstaat ist, das wird im Oval Office des Weißen Hauses, in Washington D.C., festgelegt.

Aus einem Gespräch mit Reinhard Mutz, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg, welches Lutz Herden führte und welches im FREITAG vom 17. September veröffentlicht wurde, zitiere ich drei Fragen und drei Antworten:


> Zurück zu den Ankündigungen russischer Militärs - wie beurteilen Sie deren Position aus völkerrechtlicher Sicht?

Als absolut inakzeptabel, was die Erwägung militärischer Angriffe auf Ziele in anderen Staaten anbelangt. Ich zweifele nur, ob wir es schon mit einer russischen Position zu tun haben. Bisher hat sich kein Politiker der ersten Garnitur die Auffassungen des Generalstabschefs zu eigen gemacht.

Unabhängig davon - warum reagiert der Westen so aufgebracht, teilweise hysterisch, wenn für die USA so genannte präventive Schläge inzwischen als Gewohnheitsrecht gelten?

Das war für mich der überhaupt aufschlußreichste Aspekt des ganzen Vorgangs, das Erschrecken, die Verstörung in den Reaktionen der westlichen Öffentlichkeit. Offenbar sind es zwei sehr verschiedene Dinge, über präventiven Gewaltgebrauch nur abstrakt zu disputieren und plötzlich eröffnet zu bekommen, sich möglicherweise selbst im Fadenkreuz solcher Planungen zu befinden. Vielleicht begreifen wir jetzt etwas besser, wie denjenigen Bevölkerungen zumute sein muß, die das Pech haben, in einem Land zu leben, das auf der Liste der Schurkenstaaten steht.

Ist nicht das reklamierte Recht auf eine Selbstverteidigung durch Erst- oder Präventiv-Schläge dazu angetan, die Idee der Vereinten Nationen - vor allem das Gebot des Gewaltverzichts nach Artikel 2/Absatz IV der UN-Charta - zu zerstören?

Mit Selbstverteidigung hat ein Präventivkrieg so viel gemein wie Kannibalismus mit der haute cuisine. An keinem zweiten Begriff unserer politischen Sprache wird derzeit so zielstrebig manipuliert. Die Abwehr eines bewaffneten Angriffs, das ist Selbstverteidigung, und nichts sonst. Ein einziger Staat hatte in jüngster Zeit sowohl den Anlass als auch das international verbürgte Recht, sich selbst zu verteidigen. Das war der Irak vor anderthalb Jahren. < ..........

Die Unterstreichung eines Teils einer Frage stammt von mir. In diesem Interview ging es, Sie haben es gemerkt, liebe Leserin, lieber Leser, gar nicht um die USA, sondern um Rußland, in dem nach der Geiselnahme von Beslan russische Militärs ankündigten, weltweit Terroristen jagen zu wollen. Sie, die russischen Uniformträger, haben damit die gleiche Position eingenommen, wie die beiden us-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten. Wo gibt es da noch einen Unterschied in der menschenrechtsfeindlichen Geisteshaltung der russischen militärisch-politischen Elite und der us-amerikanischen?

Nun die angekündigten Textausschnitte aus einem Beitrag von Jürgen Rose in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 5. November unter der Überschrift Der Transformator und unter der Unterüberschrift Die Bundeswehr schrumpft um viele Standorte: Wie Peter Struck die Armee verkleinert und zugleich zur globalen Interventionstruppe umbaut: > Was nicht schrumpft, sondern was ganz im Gegenteil bis an die von Verfassung und Völkerecht gezogenen Grenzen - und darüber hinaus wie mehrmals geschehen - ausgeweitet wird, ist die Mission, welche die Bundeswehr zu erfüllen hat. Gab der weltkriegsgeprägte, christlich konservative Richard von Weizsäcker als Amtsinhaber noch zu Protokoll, das Letzte, worauf die Welt warte, sei der Tritt deutscher Soldatenstiefel, rechnet es sich das Duo Schröder-Fischer erklärtermaßen als Verdienst an, der eigenen Anhängerschaft im Rekordtempo jedwede pazifistischen Flausen ausgetrieben zu haben - gepriesen als "Enttabuisierung des Militärischen". .......... Interessante Implikationen birgt zuvörderst die vom Verteidigungsminister vorgenommene Zielbeschreibung für die so genannte "Transformation" der Bundeswehr, nämlich die "Entwicklungen in den VN (Vereinten Nationen - die Red.), in NATO und EU so umzusetzen, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Streitkräften handlungsfähig bleibt und sich eine angemessene Mitsprachekompetenz erhält". Legitimierte dereinst Friedenssicherung, basierend auf einer Kombination von Abschreckungs- und Entspannungspolitik, die Existenz der Bundeswehr, so gilt heutzutage offenbar das olympische Motto "Dabeisein ist alles". Militärische Handlungsfähigkeit - für welchen Zweck auch immer - wird als ein Wert an sich empfunden. Insofern wird unmißverständlich ein globales Interventionsvermögen reklamiert: "Die Bundeswehr trägt mit weltweit einsetzbaren, schnell verlegbaren und technisch hochwertig ausgerüsteten Kräften dazu bei, die Sicherheit der Staatengemeinschaft zu erhöhen", heißt es in der erwähnten "Konzeption der Bundeswehr". Hierzu ist anzumerken, daß dort, wo ohne klares völkerrechtliches Mandat interveniert wird, regelmäßig das genaue Gegenteil von Stabilität und Sicherheit - nämlich Chaos und Anarchie (siehe Irak) - erzeugt werden. Außerdem geben selbst dort, wo Militäroperationen völkerrechtskonform ablaufen, deren bislang eher magere Ergebnisse Anlaß zu der Frage, ob nicht allein schon unter Kosten-Nutzen-Aspekten der Griff nach nicht-militärischen Instrumentarien weitaus effizienter wäre. ....... Wie ein Kanzler den Regierungsfraktionen im Bundestag notfalls Gefolgschaft abfordern kann, hat schließlich Gerhard Schröder nach dem 11. September 2001 mustergültig vorexerziert. Wer das Votum für einen Militäreinsatz mit der Vertrauensfrage verknüpft, erhebt die freie Gewissensentscheidung des Abgeordneten zum Luxusgut, besonders dann, wenn nach einem Kanzlerrücktritt Neuwahlen und möglicherweise der Verlust des Parlamentssitzes drohen. Die nicht von der Hand zu weisende Gefahr einer solchen Prozedur liegt darin, daß dabei unversehens das Grundgesetz auf der Strecke bleibt. ........ <

So bin ich am Schluß wieder in Deutschland gelandet. Den vollständigen Text von Jürgen Rose können Sie übrigens auch auf der Web-Seite von www.freitag.de nachlesen.

Das Irrenhaus oder
wie Marx ( Wolf Schenke )
durch die Wolken blickt

Der Terror treibt den Terror an
zur Rache kommen Bomben dran
die treiben Terror weiter dann
Regierungskunst ist riesig groß
die Ziele gehen in die Hos'
Das Arbeitslosenheer halbieren
Die Haushalte danach sanieren
die einen sollen länger schaffen
die andern in die Röhre gaffen
die Ossis sollen nach Osten sehen
um Sparen besser zu verstehen
das Wachstum wird zur heiligen Pflicht
Naturzerstörung sehen wir nicht
von Liebe tönt es im Gotteshaus
die Nichtbeamten schmeißt man raus
wir beten an das Kapital
angeblich gibt's da keine Wahl
wir tanzen um das harte Geld
die neue Ordnung für die Welt.

(Vox) Sept.2004

 
     
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