Alexander Klein - Januar 2005    
Verlogene Kritik seitens Amerika  
     
 

Seit der Festnahme von Michail Chodorkowski und dem Massaker von Beslan kritisieren westliche Politiker und Kommentatoren Wladimir Putin wegen seiner vermeintlich autoritären Politik. US-Außenminister Colin Powell beschuldigte ihn, die Demokratie in Rußland zurückzudrängen, und legte ihm nahe, eine politische Lösung mit Tschetschenien zu suchen, für deren Sache gerade mehrere hundert Schulkinder gestorben waren. Unlängst warfen über 100 westliche Politiker und Intellektuelle Putin "eine Rückkehr zur Rhetorik des Militarismus und des Imperialismus" vor. Weder Powell noch die Autoren des offenen Briefes scheint es zu stören, wenn die USA die angebliche terroristische Bedrohung dazu nutzen, die amerikanischen Machtmittel zu stärken oder andere Staaten anzugreifen. Aber Doppelmoral hat solche Menschen noch nie groß gestört und ebenso die Wahrheit. Denn jene, die Rußlands Präsident vorwerfen, er wolle ein neues russisches Reich errichten, übersehen, daß Putin seit seinem Amtsantritt einen geopolitischen Zusammenbruch seines Landes hingenommen hat, der vielleicht schlimmer ist als das, was sein Vorgänger zu akzeptieren gezwungen war. Der so genannte Tyrann im Kreml hat praktisch nichts unternommen, um den unerbittlichen Expansionsdrang der USA zu stoppen oder zu verlangsamen. Seit dem Jahr 2000 sind drei frühere Sowjetrepubliken, die baltischen Staaten, Mitglieder der NATO. Dadurch steht das westliche Militärarsenal gerade einmal 60 Kilometer von St. Petersburg entfernt, denn die baltischen Staaten haben nie den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSZE-Vertrag) unterzeichnet, der die Bewegung nichtnuklearer Truppenverbände beschränkte, Es bedeutet weiterhin, daß der russische Marinestützpunkt Kaliningrad (Königsberg) geographisch von NATO- und EU-Staaten umringt ist. Darüber hinaus wurden Hunderte von US-Soldaten in der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien stationiert, obwohl der Kaukasus traditionell zur russischen Einflußsphäre gehört. Schon bald wird eine von den USA kontrollierte Pipeline Öl vom Kaspischen Meer durch Aserbaidschan und Georgien transportieren. Beide Länder sind bereits auf dem Weg zur NATO -: Mitgliedschaft. Außerdem wurden in zwei wichtigen früheren Sowjetrepubliken, Usbekistan und Kirgisien, US-Militärstützpunkte errichtet, die Teil eines neuen Archipels amerikanischer Basen in Zentralasien sind. Washington hat Moskau mitgeteilt, daß es den ABM-Vertrag, der die Entwicklung einer ballistischen Raketenabwehr verbietet, einseitig aufkündigen werde. Dieser Schritt macht die russische Nuklearabschreckung wirkungslos. Vergangenen April unterzeichnete die NATO ein Übereinkommen mit Kiew, der historischen Geburtsstätte der russischen Nation, welches einer kurzfristigen Entsendung von NATO-Truppen in die Ukraine den Weg ebnet, sobald dies die Allianz für notwendig erachtet. Und kürzlich unterstrich US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz, die Ukraine müsse Teil der NATO werden. All das geht mit einer Stärkung der westlichen Macht und einer Schwächung des russischen Einflusses einher. Überall auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion und sogar Rußlands selbst finanziert der Westen eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen, Medienzentren und "unabhängigen" Politikern, um die gewählten Regierungen in Bedrängnis zu bringen. Der Westen hat den Schaden noch vergrößert, indem er postsowjetische Staaten dazu animierte, ihre einheimischen russischen Minderheiten zu erniedrigen: Im September begann Lettland, ein EU- und NATO-Mitgliedsland, den Unterricht von Minderheitensprachen an den staatlichen Schulen zurückzufahren - eine Politik, die aus Sicht zahlreicher lettischer Russen darauf hinauslaufen soll, sie aus dem Land zu treiben. Statt dem Westen hierbei Knüppel zwischen die Beine zu werfen, haben ihn Putins Minister gelegentlich aktiv unterstützt. So half Iwan Iwanow, der frühere russische Außenminister, den Amerikanern beim Sturz des georgischen Präsidenten Edward Schewardnadse im November 2003. Rußland unterstützte die Amerikaner auch beim Kampf gegen die Taliban vor drei Jahren. Und das einzige Land, dem Rußland jemals die Gasversorgung abgeschnitten hat, ist Weißrußland, die prorussischste aller früheren Sowjetrepubliken. Der Grund für die plötzliche Aggressivität gegenüber Putin ist das Öl. Die Aufstände im Irak bedeuten, daß der Plan der Amerikaner, den Preis des Rohstoffs durch eine Steigerung der irakischen Produktion nach unten zu treiben, in Trümmern liegt. Nun muß die Strategie Amerikas folglich darin bestehen, Kontrolle über die russische Ölförderung zu erlangen. Selbst in dieser Hinsicht hat sich Putin als nachgiebig erwiesen, indem er dem US-Konzern CONOCO PHILLIPS erlaubte, einen Anteil an dem russischen Unternehmen LUKOIL zu erwerben. Putins Problem besteht nicht darin, daß er dem Westen getrotzt hätte, sondern daß der Appetit der US-Amerikaner auf Unterwürfigkeit desto größer wird, je mehr man sie damit füttert.

 
     
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