Dieter Kersten - Januar 2005    
"Der Lotse verlässt das Schiff"  
     
 

Im ARGENTINISCHEN TAGEBLATT vom 20. November 2004 fand ich den nachstehenden Leserbrief zusammen mit der berühmten Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert.

Colin Powell mit Fürst Otto von Bismarck gleichzusetzen, ist fast "Gotteslästerung". Wenn ich Powells Amtszeit Revue passieren lasse und dabei nur die Kriege in Afghanistan, im Irak und im Sudan betrachte, sehe ich nur traurige diplomatische bzw. politische Ergebnisse. Jeden Tag werden Menschen für us-amerikanische Interessen abgeschlachtet. Das unter "Blinden der Einäugige König" ist, das ist nicht nur ein Sprichwort, sondern eine Menschheitserfahrung. Colin Powell ist ein "einäugiges" Militär und einer der Wenigen von der Sorte Mensch, die wenigstens eine blasse Ahnung davon zu haben scheinen, daß Krieg eben nicht die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln ist. Trotz dieser Erkenntnis hat Colin Powell seinen Mund nicht aufgemacht; noch nicht einmal ein Flüstern war spürbar - nur ein blasser Hauch von Kritik. Außerdem hat er bei den Irak-Anhörungen vor den UN-Sicherheitsrat faustdick gelogen.

Bismarck, Ministerpräsident von Preußen und erster Kanzler des Deutschen Reiches ab 1871, war aus einem ganz anderen Holz, sprich "Eisen", geschnitzt. Er versprach dem Deutschen Volk "Blut und Eisen", schuf die Sozialgesetze, die wir jetzt über Bord werfen (und für die er in einem konservativen Reichstag sehr kämpfen mußte), und knüpfte, nachdem er ebenfalls blutige, aber kurze, Kriege geführt hatte, ein Netz des Friedens. Dieses Netz hielt 1890 immerhin neunzehn Jahre und nach seinen Abgang noch immerhin vierundzwanzig Jahre.


Der Lotse verläßt das Schiff“, Karikatur von John Teniel aus dem >Punch<, März 1890



Colin Powell hat vergleichbares nicht erreicht. Er war angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kongress und der Stärke des Präsidenten und dessen Camarilla friedensunfähig. Möglicherweise ist Powell selber zu sehr "ein Kind" der schrecklichen us-amerikanischen Gesellschaft, als daß er sich Frieden mit anderen Völkern vorstellen kann. Dennoch hat der Leserbriefschreiber recht. Durch Condolezza Rice ist Frieden noch mehr in weite Ferne gerückt. Sie scheint dem Präsidenten Bush sehr ergeben zu sein und hat ein aggressives Mundwerk. Dem Vernehmen nach wird sie in einigen Kreisen der us-amerikanischen Hauptstadt Washington "die Hexe" genannt.

Es folgt der Leserbrief von Enrique Heymann, Buenos Aires:
Die Entlassung oder besser gesagt, der Rausschmiß des amerikanischen Außenministers Colin Powell ist der Verlust des letzten Hemmschuhs für den siegestrunkenen Präsidenten Bush. Powell, Militär und Staatsmann, hat mehrmals bewiesen, daß er absolut kein Säbelrassler ist und eher nachdenkt als sich in Abenteuer zu stürzen.

Seine Nachfolgerin ist jung, energisch und liebt Präventivkriege, also die richtige Dosis Aggressivität, welche Bush benötigt. Er hat nun die ideale Regierung und kann entschlossenen Schrittes marschieren, wohin, oh Gott?

Bismarck wurde 1890 entlassen. Er und Wilhelm II. waren Feuer und Wasser. Der Kaiser war 29 Jahre alt, als er sein hohes Amt übernahm und es mit dem wahren Regenten Bismarck (D.K. Bismarck war 1890 75 Jahre alt) zu tun bekam, welcher es nicht gewöhnt war, Befehle zu empfangen, geschweige, sie zu beachten und auszuführen. Ganz im Gegenteil. Er befahl und regierte. So sah ihn auch die Welt. Er war der Lotse des Deutschen Schiffes, des Deutschen Reiches.

 
     
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