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Rein
äußerlich, man kann es auch "formal" nennen, scheint
sich in Israel/ Palästina etwas in Richtung Frieden zu bewegen. Zumindestens
haben sich Israels Ministerpräsident Sharon und der neue Palästinenser-Präsident
Mahmud Abbas die Hand gegeben. Zur Zeit scheint es keine "Strafaktionen"
der Israelis gegen die Palästinenser zu geben und keine Selbstmordattentate
der Palästinenser in Israel. Daß ich auf eine weitergehende
Entwicklung zum Frieden hoffe und gleichzeitig fürchte, daß
die Flamme des Krieges wieder auflodert, das können Sie sich sicher
vorstellen. Unmittelbar, vor Ort, sind so viele Probleme ungeklärt:
die Flüchtlingsfrage, die Sperrmauer, Jerusalem als Hauptstadt beider
Staaten, die Nutzung des Grundwassers und des See Genezareth und vieles
andere mehr. Auch soll es noch 6000-10000 palästinensische Gefangene
in israelischen Gefängnissen geben, die, wenn Frieden erreicht werden
soll, ohne Wenn und Aber freigelassen werden müssen. Ich wundere
mich, daß es den Rote-Kreuz-Gesellschaften nicht möglich ist,
die genaue Zahl zu ermitteln.
Während ich den Beitrag überarbeite, am 26. Februar, hat wieder
ein Selbstmordattentäter in Tel Aviv zugeschlagen. Es soll ein 21jähriger
Student gewesen sein. Was treibt einen so jungen Menschen in den Tod?
Es entzieht sich meiner Vorstellungskraft, daß das islamische Paradies
eine solche Anziehungskraftt hat.
Für die us-amerikanische Regierung schien die syrische Täterschaft
an dem Attentat auf den libanesischen Politiker Rafik Hariri unmittelbar
danach sofort festzustehen! In Rundfunkkommentaren wurde eine gewisse
Verwunderung darüber geäußert, daß der offensichtlich
sehr effektive libanesische Geheimdienst von diesem Attentat im Vorfeld
keine Kenntnis genommen haben soll. Syrien ist einer der Hauptfeinde Israels.
Mal abgesehen von den von Israel annektierten Golanhöhen, die ja
bereits fest in den israelischen Staat integriert sind, gibt es israelischen
(biblischen) Anspruch auf Teile Syriens. Außerdem kann ich mir vorstellen,
daß die meisten Israeli die Palästinenser lieber in Syrien
sehen würden als in der angestammten palästinensischen Heimat.
Gehört deshalb Syrien zum Reich des Bösen,
weil es versucht, seine nationale, staatliche Identität zu bewahren?
Es gibt also mehr als einen Stolperstein im Nahen Osten. Ein Stolperstein
ist der weit verbreitete Haß. Er geht sowohl von den israelischen
als auch von der muslimischen Gesellschaft aus..Als Mitte Februar die
500 Gefangenen von der israelischen Regierung freigelassen wurden, demonstrierten
Israeli gegen diese notwendige Maßnahme. Ein israelischer Vater
verkündete freimütig seinen Haß auf die Palästinenser,
weil seine Tochter von ihnen getötet worden ist. Haß ist ja
die aktivere Form von nicht verzeihen können und nicht vergessen
wollen.
Leser Franz Vogler hat mir einen Ausschnitt (Seite 90 bis 92) aus einem
Buch zugeschickt, der mich sehr beeindruckt hat. Das Buch heißt
Rückkehr von Morgen, Verfasser Dr. med. George Ritchie
& Elizabeth Sherrill.
Das Thema betrifft die Shoa bzw. den Holocaust. Die Generationen nach
dem Holocaust haben ein Recht auf Liebe; sie haben keinen Haß verdient.
Ich biete das Taschenbuch in der Bestell-Liste an.
Es folgt jetzt der angekündigte Text aus diesem Buch: >> Ich
gehörte zu einer Gruppe, die in ein Konzentrationslager in der Nähe
von Wuppertal abgeordnet wurde und hatte den Auftrag, medizinische Hilfe
für die erst kürzlich befreiten Gefangenen zu bringen, von denen
viele Juden aus Holland, Frankreich und dem östlichen Europa waren.
Dieses war die erschütterndste Erfahrung, die ich je gemacht hatte;
bis dahin war ich viele Male dem plötzlichen Tod und Verwundung ausgesetzt
gewesen, aber die Wirkung eines langsamen Hungertodes zu sehen, durch
jene Baracken zu gehen, wo Tausende von Menschen Stückchen für
Stückchen über mehrere Jahre gestorben waren, all das war eine
neue Art von Horror. Für viele war es ein unwiderruflicher Prozeß.
Wir verloren Dutzende täglich, obwohl wir sie schnellstens mit Medizin
und Nahrung versorgten.
Jetzt brauchte ich meine neue Erkenntnis, in der Tat. Wenn es so schlimm
wurde, daß ich nicht mehr handeln konnte, tat ich das, was ich gelernt
hatte zu tun. Ich ging von einem Ende zum anderen in dem Stacheldrahtverhau
und schaute in die Gesichter der Menschen, bis ich feststellte, daß
das Gesicht Christi mich anblickte.
Und so lernte ich Wild Bill Cody kennen. Das war nicht sein eigentlicher
Name. Sein wirklicher Name hatte sieben unaussprechliche polnische Silben,
aber er hatte einen lang herunterhängenden Lenkstangenbart, wie man
ihn auf Bildern der alten Westernhelden sah, so daß die amerikanischen
Soldaten ihn Wild Bill nannten. Er war einer der Insassen des Konzentrationslagers,
aber offensichtlich war er nicht lange dort gewesen: seine Gestalt war
aufrecht, seine Augen hell, seine Energie unermüdlich. Da er sowohl
Englisch, Französisch und Russisch als auch Polnisch fließend
sprach, wurde er eine Art inoffizieller Lagerübersetzer.
Wir kamen zu ihm mit allen möglichen Problemen; der Papierkram alleine
hielt uns oft auf bei dem Versuch, Leute zu finden, deren Familien, ja
sogar ganze Heimatorte möglicherweise verschwunden waren. Aber obwohl
Wild Bill 15 oder 16 Stunden täglich arbeitete, zeigten sich bei
ihm keine Anzeichen von Ermüdung. Während wir übrigen uns
vor Müdigkeit hängen ließen, schien er an Kraft zu gewinnen.
"Wir haben Zeit für diesen alten Kameraden", sagte er.
"Er hat den ganzen Tag auf uns gewartet." Sein Mitleid für
seine gefangenen Kameraden strahlte aus seinem Gesicht, und zu diesem
Glanz kam ich, wenn mich der Mut verlassen wollte.
Ich war darum erstaunt, als ich die Papiere von Wild Bill eines Tages
vor mir liegen hatte, daß er seit 1939 im KZ gewesen war! Sechs
Jahre hatte er von derselben Hungertoddiät gelebt, und wie jeder
andere in derselben schlecht gelüfteten und von Krankheiten heimgesuchten
Baracke geschlafen, dennoch ohne die geringste körperliche oder geistige
Verschlechterung. Noch erstaunlicher war vielleicht, daß jede Gruppe
im Camp ihn als einen Freund betrachtete. Er war derjenige, dem Streitigkeiten
zwischen den Insassen zum Schiedsspruch vorgelegt wurden. Erst nachdem
ich wochenlang dort gewesen war, erkannte ich, welch eine Rarität
dies in einem Gelände war, wo die verschiedensten Nationalitäten
von Gefangenen einander fast so sehr haßten, wie sie die Deutschen
haßten.
Was die Deutschen betraf, stiegen die Gefühle gegen sie in einigen
der Lager, die etwas früher befreit worden waren, so hoch, daß
frühere Gefangene sich Gewehre geschnappt hatten und in das nächste
Dorf gerannt waren und einfach den ersten Deutschen, den sie sahen, erschossen
hatten. Es war ein Teil unserer Instruktionen, diese Dinge zu verhindern,
und wieder war Wild Bill unser größter Aktivposten, wenn er
mit den verschiedenen Gruppen vernünftig redete und ihnen riet, Vergebung
zu üben.
"Es ist nicht leicht für sie, zu vergeben", erklärte
ich ihm eines Tages, als wir im Zentrum für alle Abwicklungen mit
unseren Teetöpfen beieinander saßen. "Viele von ihnen
haben ihre Familienangehörigen verloren."
Wild Bill lehnte sich in dem geraden Stuhl zurück und schlürfte
sein Getränk.
"Wir lebten im jüdischen Sektor von Warschau", fing er
langsam an. Es waren die ersten Worte, mit denen er mir gegenüber
von sich selbst sprach. "Meine Frau, unsere zwei Töchter und
unsere drei kleinen Jungen, als die Deutschen unsere Straße erreichten,
stellten sie jeden an die Wand und eröffneten mit Maschinengewehren
das Feuer. Ich bettelte, daß sie mir erlauben würden, mit meiner
Familie zu sterben, aber da ich Deutsch sprach, steckten sie mich in eine
Arbeitsgruppe."
Er unterbrach, vielleicht weil er wieder seine Frau und seine fünf
Kinder vor sich sah. "Ich mußte mich dann entscheiden",
fuhr er fort, "ob ich mich dem Haß den Soldaten gegenüber
hingeben wollte, die das getan hatten. Es war eine leichte Entscheidung,
wirklich. Ich war Rechtsanwalt, in meiner Praxis hatte ich zu oft gesehen,
was der Haß im Sinn und an den Körpern der Menschen auszurichten
vermochte. Der Haß hatte gerade sechs Personen getötet, die
mir das meiste auf der Welt bedeuteten. Ich entschied mich dafür,
daß ich den Rest meines Lebens - mögen es nur wenige Tage oder
viele Jahre sein - damit zubringen wollte, jede Person, mit der ich zusammenkam,
zu lieben."<< |
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