Johannes Scholler - Mai 2005    
Einige Worte des Europäers Friedrich Nietzsche  
     
 

Einige Worte des Europäers Friedrich Nietzsche
ausgewählt von Johannes Scholler im August 2002, in den Tagen, in welchen sich endlich ein eigener europäischer Weg abzeichnet.

1.Über Chauvinismus und die Zukunft deutscher Kultur im beinahe allgemeinen Jubel besonders des gebildeten Deutschland nach der militärischen Niederwerfung Frankreichs 1870 aus "Unzeit gemäße Betrachtungen" (1873 geschrieben):
>> Es droht die Extirpation (Anm .D.K. In der Medizin ein Ausdruck für das Entfernen der Man deln) des deutschen Geistes zugunsten des deutschen Reichs.<<

2. Über Antisemiten aus "Zur Genealogie der Moral":
>> ...ich mag sie auch nicht, diese neuesten Spekulanten in Idealismus, die Antisemiten, wel che heute ihre Augen christlich-arisch-biedermännisch verdrehn und durch einen jede Geduld erschöpfenden Mißbrauch des wohlfeilsten Agitationsmittels, der moralischen Attitüde, alle Hornvieh-Elemente des Volkes aufzuregen versuchen. <<
Aus der nachgelassenen Schrift "Wider das Christentum" (posthum heraus gegeben unter dem Titel "Der Antichrist"):
>> Ein Antisemit wird dadurch durchaus nicht anständiger, daß er aus Grundsatz lügt. <<

3. Über das jüdische Volk und das Jüdische im Christentum aus "Der Antichrist", Kap. 24:
>> Die christliche Kirche entbehrt, im Vergleich zum 'Volk der Heiligen', jedes Anspruchs auf Originalität. Die Juden sind, eben damit, das verhängnisvollste Volk der Weltgeschichte: in ihrer Nachwirkung haben sie die Menschheit derart falsch gemacht, daß heute noch der Christ antijüdisch fühlen kann, ohne sich als die letzte jüdische Konsequenz zu ver stehen. <<







4. Über den späten Richard Wagner: aus "Jenseits von Gut und Böse", geschrieben in Sils-Maria 1885:
>> ... will ich einige kräftige Reime zu Hilfe nehmen, welche auch wenig feinen Ohren es verraten werden, was ich will, - was ich gegen den 'letzten Wagner' und seine Parsifal Musik will:
- Ist das noch deutsch?-
Aus deutschem Herzen kam dies schwüle Kreischen?
Und deutschen Leibs ist dies Sich- selbst-Entfleischen?
Deutsch ist dies Priester- Händespreizen.
Dies Weihrauchdüftelnde Sinne- Reizen?
Und deutsch dies Stocken, Stürzen, Taumeln,
Dies ungewisse Bimbambaumeln? Dies Nonnen-Äugeln, Ave-Glocken- Bimmeln,
Dies ganze falsch verzückte Himmel-Überbimmeln?
- Ist das noch deutsch?
Erwägt! Noch steht ihr an der Pforte.
Denn was ihr hört, ist Rom, Roms Glaube ohne Worte! <<

5. Über Kant: aus "Antichrist" (geschrieben 1888):
>> ... Und das war der Zeitgenosse Goethes! Dies Verhängnis von Spinne galt als der deut sche Philosoph, - gilt es noch ... Ich hüte mich zu sagen, was ich von den Deutschen denke... Hat Kant nicht in der französischen Revolution den Übergang von der unorganischen Form des Staats in die organische gesehen? Hat er sich nicht gefragt, ob es eine Begebenheit gibt, die gar nicht anders erklärt werden könne als durch eine moralische Anlage der Mensch heit, so daß mit ihr, ein für alle Mal, die 'Tendenz der Menschheit zum Guten" bewiesen sei? Antwort Kant's: 'das ist die Revolution'. Der fehlgreifende Instinkt in allem und jedem, die Wider natur als Instinkt, die deutsche Verderbnis als Philosophie - das ist Kant. <<

6. Über "Die Deutschen": aus "Antichrist", Schlußteil:
>> Ah, diese Deutschen, was sie uns schon gekostet haben! Umsonst - das war immer das Werk der Deutschen. - Die Reformation, Leibniz, Kant und die so genannte deutsche Philo sophie, die 'Freiheits'- Kriege, das Reich - jedes mal ein Umsonst für etwas, das bereits da war, für etwas Unwiederbringliches ... Es sind meine Feinde, ich bekenne es, diese Deutschen: ich verachte in ihnen jede Art von Begriffs- und Wert-Unsauberkeit, von Feigheit vor jedem rechtschaffenen Ja und Nein. Sie haben, seit einem Jahrtausend beinahe, alles verfilzt und ver wirrt, woran sie mit ihren Fingern rührten, sie haben alle Halbheiten - Drei-Achtelsheiten! - auf dem Gewissen, wo Europa krank ist, - sie haben auch die unsauberste Art Christentum, die es gibt, die unheilbarste, die unwiderlegbarste, den Protestantismus auf dem Gewissen ... Wenn man nicht fertig wird mit dem Christentum, die Deutschen werden daran schuld sein...<<

7. Über Gottesbegriff und Atheismus:
aus "Jenseits von Gut und Böse1' (geschrieben 1885):
>> ...Dies ist es, was ich, als Ursachen für den Niedergang des europäischen Atheis mus, aus vielerlei Gesprächen, fragend, hinhorchend, ausfindig gemacht habe; es scheint mir, daß zwar der religiöse Instinkt mächtig im Wachsen ist, - daß er aber gera de die theistische Befriedigung mit tiefem Mißtrauen ablehnt.<<
Aus "Ecce Homo - Warum ich ein Schicksal bin" (geschrieben 1888):
>> Der Begriff 'Gott erfunden als Gegensatz-Begriff zum Leben - in ihm alles Schädliche, Vergiftende, Verleumderische, die ganze Todfeindschaft gegen das Leben in eine entsetzli che Einheit gebracht. Der Begriff 'Jenseits', 'wahre Welt' erfunden, um die einzige Welt zu entwerten, die es gibt - um kein Ziel, keine Vernunft, keine Aufgabe für unsere Erden- Realität übrig zu behalten? Der Begriff 'Seele', 'Geist', zuletzt gar noch 'unsterbliche Seele', erfunden um den Leib zu verachten, um ihn krank - 'heilig' zu machen, um allen Dingen, die Ernst im Leben verdienen, den Fragen von Nahrung, Wohnung, geistige Diät, Kranken behandlung, Reinlichkeit, Wasser, einen schauerlichen Leichtsinn entgegenzubringen!...."

8. Über den Begriff 'Scheinbare und wahre Welt":
Aus "Götzendämmerung"
>> Erster Satz. Die Gründe, daraufhin 'diese' Welt als scheinbar bezeichnet worden ist, begründen vielmehr deren Realität, - eine andere Realität ist absolut unnachweisbar.
Zweiter Satz. Die Kennzeichen, welche man dem 'wahren Sein' der Dinge gegeben hat, sind die Kennzeichen des Nicht-Seins, des Nichts - man hat die 'wahre Welt' aus dem Wider spruch zur wirklichen Welt aufgebaut: eine scheinbare Welt in der Tat, insofern sie bloß eine moralisch-optische Täuschung ist. Dritter Satz. Von einer 'anderen' Welt als dieser zu fabeln, hat gar keinen Sinn, vorausgesetzt daß nicht ein Instinkt der Verleumdung, Verklei nerung, Verdächtigung des Lebens in uns mächtig ist: im letzteren Falle rächen wir uns am Leben mit der Phantasmagorie eines 'anderen', eines 'besseren' Lebens.
Vierter Satz. Die Welt scheiden in eine 'wahre' und eine 'scheinbare' sei es in der Art des Christentums, sei es in der Art Kants (eines hinterlistigen Christen zu guter Letzt) ist nur eine Suggestion der décadence, - ein Symptom niedergehenden Lebens... Daß der Künstler den Schein höher schätzt als die Realität ist kein Einwand gegen diesen Satz. Denn 'der Schein' bedeutet hier die Realität noch einmal, nur in einer Auswahl, Verstärkung, Korrektur... <<

9. Falschheit des modernen Menschen:
aus "Antichrist", Kap. 38 (geschrieben 1888);
>> ...Wir wissen, unser Gewissen weiß es heute, - was überhaupt jene unheimlichen Erfindun gen der Priester und der Kirche wert sind, wozu sie dienten, mit denen jener Zustand von Selbstschändung der Menschheit erreicht worden ist, der Ekel vor ihrem Anblick machen kann - die Begriffe 'Jenseits', 'jüngstes Gericht', 'Unsterblichkeit der Seele', die 'Seele' selbst; es sind Folterinstrumente, es sind Systeme von Grausamkeiten, vermöge deren der Prie ster Herr wurde, Herr blieb. Jedermann weiß das: und trotzdem bleibt Alles beim Alten. Wohin kam das letzte Gefühl von Anstand, von Achtung vor sich selbst, wenn unsere Staats männer sogar, eine sonst sehr unbefangene Art Mensch und Antichristen der Tat durch und durch, sich heute noch Christen nennen und zum Abendmahl gehen?... Ein Fürst an der Spitze seiner Regimenter, prachtvoll als Ausdruck der Selbstsucht und Selbstüberhebung seines Volkes, aber ohne jede Scham sich als Christen bekennend! ... Wen verneint denn das Chri stentum? Was heißt es Welt? Daß man Soldat, daß man Richter, daß man Patriot ist; daß man sich wehrt; daß man auf seine Ehre hält, daß man seinen Vorteil will; daß man stolz ist ... Jede Praktik jeden Äugenblicks, jeder Instinkt, jede zur Tat werdende Wertschätzung ist heute antichristlich: Was für eine Mißgeburt von Falschheit muß der moderne Mensch sein, daß er sich trotzdem nicht schämt, Christ noch zu heißen! <<

10. Der gute Europäer: aus "Zur Genealogie der Moral":
>> ... Die Natur ansehen, als ob sie ein Beweis, für die Güte und Obhut eines Gottes sei; die Geschichte interpretieren zu Ehren einer göttlichen Vernunft, als beständiges Zeugnis einer sittlichen Weltordnung und sittlicher Schlußabsichten; die eigenen Erlebnisse auslegen, wie sie fromme Menschen lange genug ausgelegt haben, wie als ob alles Fügung, alles Wink, alles dem Heil der Seele zuliebe ausgedacht und geschickt sei: das ist nunmehr vorbei, das hat das Gewissen gegen sich, das gilt allen feineren Gewissen als unanständig, unehrlich, als Lügnerei, Tat-Scheu, Schwachheit, Feigheit, - mit dieser Strenge, wenn irgend womit, sind wir eben gute Europäer und Erben von Europas längster und tapferster Selbstüberwin dung ... <<

11. Der Mensch der Zukunft: aus "Zur Genealogie der Moral":
>> Dieser Mensch der Zukunft, der uns ebenso vom bisherigen Ideal erlösen wird als von dem, was aus ihm wachsen mußte, vom großen Ekel, vom Willen zum Nichts, vom Nihilismus, die ser Glockenschlag des Mittags und der großen Entscheidung, der den Willen wieder frei macht, der der Erde ihr Ziel und dem Menschen seine Hoffnung zurückgibt, dieser Antichrist und Antinihilist, dieser Besieger Gottes und des Nichts - er muß einst kommen ... <<

Nachtrag am 10.09.02: Dieses 'einst' wird zum 'heute'! Daß diese Strebung zu nieder gehendem Leben zur 'protestantischen Eruption' beiträgt, sah Nietzsche (siehe Punkt 6), die Verdichtung in Nordamerika aber beschrieb um 1830 Alexis de Tocqueville mit den Worten "Den Bewohnern der Vereinigten Staaten wird immer wieder und dauernd gesagt, sie seien das einzig religiöse, erleuchtete und freie Volk. Sie haben eine immens hohe Mei nung von sich selbst und sind nicht weit davon entfernt zu glauben, daß sie eine Spe zies außerhalb der menschlichen Rasse bilden."

 
     
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