Kommentar von Martin Rust - Mai 2005    
Benedikt XVI. und die deutsche Gesellschaft  
     
 

Nein, ich will nichts über deutsch-innerkatholische / christliche Dissonanzen und Richtungsstreits sagen. Und ja, der neue Papst war vorher Haupt der Nachfolgeorganisation der Inquisitionsbehörde, der "Apostolischen Kongregation zur Wahrung des Glaubens". Und, ja, mit vierzehn, fünfzehn war er Mitglied der HJ gewesen (und vorher wahrscheinlich der "Jungpimpfe"), wie englische Billigmassenblätter lüstern und sensationsgierig in diesen Tagen herausstellen. Und der Kommentator bekennt zusätzlich: Er - aus "rheinisch-katholischem" Elternhause stammend - ist vom Gleichgültigen zum Gegner der katholischen Kirche geworden, nicht zuletzt, nachdem er in Berlin ihre wohl engherzigste und spießigste deutsche Variante, den hier dominanten "schlesisch-polnischen" Katholizismus, zu nahe kennen gelernt hat. Der Schreiber dieser Zeilen hat aber in Schule und Universität soviel kulturelle Bildung erfahren, daß er auch die historischen Verdienste der katholischen Kirche für die Werdung Europas und dieses Landes genau zu schätzen weiß. Ohnehin gilt: Der Papst hat nur Macht über die Köpfe, die seine Dogmen anerkennen.

Und dennoch: Mit der Wahl Benedikts XVI. sind wir Zeugen eines Jahrtausendereignisses geworden. Der letzte Papst aus dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation - genauer: aus der Stadt Utrecht, die damals freilich noch nicht zu den nichtexistenten Niederlanden zählte - war Hadrian VI. vor 482 Jahren. Und für "deutsche" Päpste davor muß man erneut rund 500 Jahre zurückgehen. Johannes Paul II. wurde in den Medien als "Jahrtausendpapst" bezeichnet, aber sollten wir für eine solche Würdigung nicht doch noch ein paar Jahrhunderte warten? Jahrtausendereignisse hingegen sind momentanen Charakters und treten sofort ein, und ein solches ist die Wahl Benedikts XVI. für uns in Deutschland. Wäre das nicht in jedem anderen Land auf dem Globus ein Grund zur Freude?

Aber nein - Gott bewahre sozusagen - Ablehnung, Bekrittelung, Gleichgültigkeit, der Wunsch nach etwas anderem, vermeintlich besseren, bestimmen weite Teile der veröffentlichten und auch der öffentlichen Meinung (in diesem Fall: z. B. ein Papst aus Südamerika oder Afrika). Das ist so ähnlich wie beim Umgang mit zweiten, dritten und vierten Plätzen hier im Sport, nur in ungleich größerem Maßstab. Fehlender Werte-, Religions-, Geschichtsunterricht? Sicher, alles hat damit zu tun. Doch mehr: Warum nur, warum nur kann sich dieses Land, kann sich diese gesamte Gesellschaft jenseits von Fußball-WM's nicht ganz einfach einmal für eine historische Sekunde FREUEN? Einer VON UNS ist nach Jahrhunderten in das vielleicht höchste und zugleich angesehenste Amt gewählt worden, was die Welt zu vergeben hat! Wäre die deutsche Gesellschaft ein einzelner Mensch mit solch' ewig negativen Eigenschaften und Denkweisen, wie sie sich jetzt sofort wieder äußern - er (oder sie) wäre ein richtig schön widerlicher und gleichzeitig bemitleidenswerter Zeitgenosse.

 
     
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