Martin Rust - Juli / August 2005    
Berliner Sommer-Visionen ...  
     
 

... der klangvollen Art gab es am 28. Juni abends wieder einmal im wunderschönen Lichthof der australischen Botschaft in der Wallstraße. I. E. Botschafterin Pamela Fayle wollte einmal mehr eine nicht so bekannte Seite ihres Landes vorstellen, diesmal aus dem Bereich der Kultur und hatte dafür eine Truppe sehr sympathischer "junger Botschafter" zu Gast: das Melbourne String Ensemble. Dabei handelt es sich um ein Nachwuchsstreichorchester, etwa zwanzig junge Leute zwischen zehn und fünfundzwanzig Jahren. Zur Aufführung gelangten u. a. Werke von Corelli, Hindemith, Telemann und eines englischen Komponisten des 19. Jahrhunderts, Vaughan Williams. Die jungen Musiker, auch die Solisten, spielten entspannt und freudig. Letzteres wurde besonders deutlich bei dem Stück "Past Life Memories" der australischen Komponistin Sarah Hopkins. Hier wurden auf ungewöhnliche Weise musikalische Spezialeffekte konzertant eingearbeitet und erlaubten dem Zuhörer träumerische Schwärmerei. Noch mehr geriet der Zuhörer in den Bann bei Williams' "Fantasia on a Theme of Thomas Tallis", einem romantischen Stück, in dem echohaft Elemente von englischer Musik der Tudor-Zeit (16. Jahrhundert) als Kontrapunkt erklangen. Hier besonders begab sich der Rezensent mit geschlossenen Augen auf seine feierabendliche Gedanken-Reise, um die "Mühsal des Alltags" hinter sich zu lassen. Nach knapp neunzig Minuten konnte der Abend noch eine Weile bei vollmundigem australischen Wein und kleinen kulinarischen Köstlichkeiten von downunder fortgesetzt werden....

Weniger seelisch entspannt ging es zwei Abende später in der Bayerischen Landesvertretung zu. Nicht um weiche romantische Melodien von der Südhalbkugel des Globus ging es, sondern harte realistische Töne bezüglich des vorderen Orients - wenn man so will - stellten das Leitmotiv des Abends dar. Im Rahmen einer Veranstaltung in Koorperation mit der Hanns-Seidel-Stiftung erläuterte der CSU-Bundestagsabgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg seine Vorstellungen zur "Aktualität eines Konzeptes für eine privilegierte Partnerschaft mit der Türkei". Um eines vorweg zu nehmen: Mit zu Guttenberg sprach kein anti-türkischer Hardliner, sondern ein juristisch und rhetorisch brilliant die Fakten und Implikationen abwägendes Mitglied des außenpolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Es gehe ihm darum, eine nüchterne und sachliche Argumentationskette zu entwickeln, die vor allem die Beitrittsreife nicht der Türkei, sondern der EU zum Hintergrund nehme. Zwei Maximen stellte zu Guttenberg an den Anfang seiner Ausführungen: Zum einen halte er den Begriff der "privilegierten Partnerschaft" bereits jetzt für politisch so belastet, daß zukünftig einmal eine andere Umschreibung für das anzustrebende Verhältnis EU-Türkei gefunden werden müsse. Zum anderen aber gelte: die EU müsse unbedingt die bestmögliche Anbindung der Türkei unterhalb der Schwelle der Vollmitgliedschaft erreichen. Da die Entscheidung des EU-Ministerrates vom Dezember 2004 die aufzunehmenden Verhandlungen ausdrücklich als "ergebnisoffen" charakterisiert habe, müsse für den möglichen Fall einer Ablehnung der Vollmitgliedschaft durch eine der beiden Seiten unbedingt eine sinnvolle Alternative zur türkischen Vollmitgliedschaft entwickelt werden - gerade auch im Interesse der türkischen Seite.

Denn im Zweifelsfall sei auch für Ankara eine "privilegierte Partnerschaft" besser als eine "unterprivilegierte Mitgliedschaft", etwa in Gestalt der von der EU vorgesehenen erheblichen Beschränkungen der Freizügigkeit für türkische Arbeitnehmer. Abgesehen davon, daß die demokratischen Reformen in der Türkei in den letzten Jahren bei allem Respekt an und für sich für einen demokratischen Staat selbstverständlich und nicht nur im Hinblick auf eine EU-Mitgliedschaft durchzuführen seien, könne es doch - so zu Guttenberg - zu Zweifeln in der türkischen Bevölkerung am Wert einer EU-Mitgliedschaft kommen. Letztlich fordere die EU in Hinsicht auf Werte ja die völlige Europäisierung der türkischen Gesellschaft um den Preis einer "unterprivilegierten Mitgliedschaft". Außerdem hänge selbst nach den im derzeitigen türkischen Sinne erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen die letzte Entscheidung über die Aufnahme von der Zustimmung aller EU-Staaten ab. Möglicherweise gäbe es noch ein französisches und ein österreichisches Referendum. Diese Tatsachen machten die Existenz eines "Plan B", wünschenswert, der dann besser als ein einfaches "Nein" sei.

Nach zu Guttenberg bleibe die EU deshalb aufgefordert, für die "privilegierte Partnerschaft", egal, wie sie dann genannt werde, ein schlüssiges Gesamtkonzept für alle Fragestellungen zu entwickeln, die sich damit verbänden. Der Redner legte ein 3-Säulen-Modell vor, betreffend die institutionelle Einrichtung, die Ausgestaltung einzelner Politikfelder und die Entwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik von Türkei und EU vor. Insgesamt gehe es um ein "Mehr" in den Beziehungen als die derzeitig existierende Zollunion, aber auch um deutliches "Weniger" als es die türkische Vollmitgliedschaft wäre, denn diese würde die EU in jeder Hinsicht überfordern. Der Außenpolitiker zu Guttenberg gab abschließend den Hinweis, daß die USA die ganze Frage ausschließlich unter geostrategischen Gesichtspunkten betrachtete, in denen die Türkei lediglich die funktionale "europäische Brücke" in andere strategisch interessante Gebiete darstelle.

Zum Ausklang des Abends gab es Weißbier, Wein, Säfte, Häppchen und bayerischen Leberkäse für die 200-250 Zuhörer aus gutbürgerlichen (West-) Berliner Kreisen. Und da muss der Schreiber dieser Zeilen einfach mal konstatieren: selten hat er eine Veranstaltung besucht, bei dem sich die Besucher hinterher so benahmen, als besäßen sie zuhause keine gefüllten Kühlschränke. Da war sozusagen der Charakterzug einer "schnellen Eingreiftruppe" gefragt und es hatte angesichts des plötzlich ablaufenden "Verteilungskampfes" schnell ein Ende mit den moderierten und moderaten Klängen und Visionen.

 
     
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