Dieter Kersten - September 2005    
 
"Helmut, nimm uns an die Hand und führ
uns in das Wirtschaftswunderland"
 
     
 

In dem Artikel Schulden ohne Sühne von Lorenz Maroldt in der Berliner Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL vom 1. Juli wird die Verantwortung der Regierung Helmut Kohl für eine mißlungene deutsche Wirtschaftsvereinigung 1990 festgestellt. Noch mehr: Die Mitverantwortung des jetzigen Bundespräsidenten Horst Köhler für 200 Milliarden Euro Schulden, wo und wie immer sie verteilt worden sind, steht ebenfalls fest.

Die Regierung Kohl bestand 1990 aus der Koalition CDU/CSU und FDP. Wenn sich 2005 Politiker dieser Parteien hinstellen und die Finanzpolitik der SPD und Bündnis 90/Die Grünen (1998 bis ?) scharf kritisieren, bis zu den Worten Verlogenheit des Herrn Eichel, dann, ja dann - wo hört die eigene Verlogenheit auf und wo fängt eine zutiefst kriminell motivierte politische Handlung an?

Daß die SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu den 1998 übernommenen Schulden aus dem Jahr 1990 schweigen, deutet auf Komplizenschaft hin. Es wäre doch ein leichtes gewesen, in den letzten sieben Jahren CDU/CSU und FDP zur Rede zu stellen.. Warum muß das ein Journalist tun? Ihm gebührt das Bundesverdienstkreuz!

Die "staatstragenden" Parteien haben alle mehr als nur "Dreck am Stecken".

Eigentlich müßte jetzt nicht nur ein Rauschen, sondern die Alarmsirenen durch die Medien gehen. Aber nichts dergleichen. Horst Köhler scheint in den kriminellen Verstrickungen aller Parteien eine besondere Rolle zu spielen. Ansonsten wäre er nicht Bundespräsident geworden.

In dem Artikel von Lorenz Maroldt Schulden ohne Sühne fällt auf, daß die, ebenfalls von Steuergeldern finanzierten FachInstitute gegen die Methode der deutschen Wirtschaftseinheit geredet haben. Es fällt aber auch auf, daß keiner dieser hochdotierten Mitarbeiter z.B. Strafanzeige wegen Veruntreuung von Steuergeldern gegen Mitglieder der damaligen Bundesregierung gestellt hat.

Neben der kriminellen Motivation, die ich annehme, ist es auch die völlige Unfähigkeit unseres politischen Personals, die einen Staat zerstört. Der Staatsbürger als Arbeitgeber dieses politischen Personals darf nicht zögern, dieses politische Personal fristlos zu feuern. Der Staatsbürger wird das nur können, wenn er sich selber eine neue Struktur der Selbstbestimmung gibt. Über die nachbarschaftliche Staatsordnung nach Mahraun habe ich schon öfters geschrieben.

Nachstehend ergänze ich den Beitrag aus der Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL durch Auszüge eines Artikels von Jörg Roesler in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 17. Juni: > ... Bereits in den ersten Wochen nach dem Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 wurde erkennbar, "daß Kohls Erwartung eines rasanten zweiten ›Wirtschaftswunders‹ im Stil der fünfziger Jahre auf Sand gebaut war", heißt es rückblickend bei Arnulf Baring und Gregor Schöllgen in Kanzler, Krisen, Koalitionen.

Was war geschehen? Warum folgte in der DDR der Währungsunion nicht das Wirtschaftswunder, sondern eine Wirtschaftskatastrophe?

Gewiß, die DDR-Betriebe befanden sich in ihrer großen Mehrheit nicht auf dem neuesten technologischen Standard - ein Viertel der Anlagen war älter als 20 Jahre (in der BRD lag der vergleichbare Wert bei sechs Prozent). Aber nicht deshalb gingen die ehemaligen VEB nach der Öffnung zum Weltmarkt unter. Keineswegs besser ausgestattete Unternehmen in Polen, Tschechien oder Ungarn überlebten die Marktöffnung mehrheitlich. Die DDR-Betriebe hatten vielmehr dank einer mit der Währungsunion verursachten Explosion ihrer Kosten kaum eine Chance, sich etwa gegenüber westdeutscher Konkurrenz zu behaupten. Der Umtauschsatz von 1:1 für Löhne, Renten und einen Großteil der Spareinlagen begünstigte die ostdeutschen Verbraucher, benachteiligte aber die ostdeutschen Produzenten.

Wilhelm Hankel, der als Spezialist für Währungs und Entwicklungspolitik in Harvard lehrte und unter Minister Karl Schiller (SPD) die Abteilung Geld und Kredit im Bonner Wirtschaftsressort geleitet hatte, nannte in seinem 1993 erschienenen Buch Die sieben Todsünden der Vereinigung die Währungsunion an erster Stelle: "Nachdem die Bundesregierung bewußt einen Aufwertungsschock herbeigeführt hat, in dem sie die DM nicht zu einem Umtauschsatz von 1 : 4 oder 1 : 5, wie es der Marktbewertung ungefähr entsprochen hätte, einführte, ... darf sie sich nicht wundern, wenn statt des erhofften Wirtschaftswunders das Gegenteil eintritt - eine Wirtschaftskatastrophe." Übrigens wurden 1990 der polnische Zloty und die tschechische Krone nicht auf-, sondern abgewertet.

War der Vergleich der Währungsunion von 1990 mit der Währungsreform von 1948 nur Wunschdenken? Verschiedene Wirtschaftswissenschaftler haben sich seit 1991 gefragt, was man im 1. Halbjahr 1990 beim Vergleich übersehen haben könnte. Die Liste erwies sich als erstaunlich lang. Die Währungsreform von 1948 hatte die Sachvermögensbesitzer und damit auch die Betriebe begünstigt, die Verbraucher dagegen benachteiligt. .... Gegen die freie Wareneinfuhr aus Westeuropa oder den USA - so 1991 in einem Artikel zum ersten Jahrestag der Währungsunion der Wirtschaftsprofessor Elmar Altvater von der FU Berlin - schützten den einheimischen Markt seinerzeit nicht nur Zölle, sondern auch der Umstand, dass die neue D-Mark für zehn Jahre nur begrenzt konvertibel war. Außerdem war die neue Währung 1949 gegenüber dem Dollar um ein Fünftel und gegenüber dem britischen Pfund um fast ein Drittel abgewertet worden. ...

Der Vergleich Währungsreform 1948 und Währungsunion 1990 hinkt also gewaltig, dennoch wäre es 1990 für Kanzler Kohl durchaus möglich gewesen, auf Erfahrungen aus der bundesrepublikanischen Geschichte zurückzugreifen, hätte er sich des 6. Julis 1959 erinnert, als der Saar-franc in die DM umgetauscht wurde. Das Saargebiet, das noch vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland von der Französischen Besatzungszone separiert und zu einem eigenständigen staatlichen Gebilde erklärt worden war, hatte sich im Oktober 1955 mit einer Volksabstimmung für den Beitritt zur Bundesrepublik entschieden. Danach kam die bisherige Schutzmacht Frankreich mit der Regierung Adenauer überein, das Saarland zum 1. Januar 1957 in die Bundesrepublik zu entlassen. Die Währungs- und Wirtschaftsunion des Saarlandes mit Frankreich sollte jedoch für eine längere Übergangszeit noch bestehen bleiben - längstens für vier Jahre.

Das saarländische Beispiel, in der westdeutschen Geschichtsschreibung auch als "kleine Wiedervereinigung" apostrophiert, bot zuviel Ähnlichkeiten mit der Währungsunion vom 1. Juli 1990, um nicht als Vergleichsobjekt ins Auge zu springen. Im März 1990 veröffentlichte Armin Heinen in der Saarbrücker Zeitung einen Beitrag mit dem Titel Ein saarländischer Blick in die deutsche Zukunft und erklärte dem Leser, "warum die Geschichte des Saarlandes ein Lehrstück für die bevorstehende Vereinigung Deutschlands sein kann". Robert Leicht griff die Anregung in der ZEIT auf. Als er seine Gedanken über den "Königsweg der Einheit" niederschrieb, wählte er den Untertitel "Das Saarland als Beispiel: Wie ein abgestufter Beitritt zur Bundesrepublik gelang".

Doch nach dem März 1990 war vom Saar-Beispiel kaum noch die Rede. Vermutlich, weil es einen auffälligen "Schönheitsfehler" besaß: Damals, bei der "kleinen Wiedervereinigung", stand die Währungsunion nicht am Anfang, sondern am Ende des Vereinigungsprozesses. Diese Reihenfolge hatten die damaligen Unterhändler für unumgänglich erachtet. Die Ökonomie des Saarlandes benötige die Zeit, um sich an die wirtschaftlichen Gegebenheiten der Bundesrepublik anzupassen, hieß es. Denn nach Expertenmeinung stand außer Frage, daß der Übergang der Saarindustrie von der einen Marktwirtschaft (der französischen) in die andere (die bundesdeutsche) alles andere als ein Spaziergang sein würde. Diejenigen, die gemeint hatten, die Unterschiede in den Wirtschaftssystemen würden überbewertet, sollten eines Besseren belehrt werden. Rückblickend mußte die saarländische Landesregierung 1962 bekennen: "Die Anpassung war zweifellos nicht leicht, denn das System der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik wich von der stark protektionistisch aufgebauten saarländischen und französischen Wirtschaftsverfassung entschieden ab." Aus dem saarländischen Beispiel ließ sich unschwer schlußfolgern, daß es selbst bei einer schrittweisen Einführung der bundesdeutschen Marktwirtschaft für die DDR zu erheblichen Problemen kommen würde.

Mit anderen Worten: Wer die Konditionen des wirtschaftlichen Anschlusses der Saar an die Bundesrepublik kannte, mußte wissen, daß es einem Vabanquespiel gleichkam, die deutsche Einheit mit einer Währungsunion einzuleiten. Vermutlich deshalb wurden vereinzelte Anregungen in den Medien, sich des saarländischen Paradigmas anzunehmen, von der bundesdeutschen Politik kaum aufgegriffen. Nur einer nahm Stellung: Oppositionsführer Oskar Lafontaine. In seinem Memoirenband Das Herz schlägt links erinnert sich der SPD-Kanzlerkandidat von 1990 an seine Vereinigungspläne: "Mir schwebte ein ähnlicher Weg vor wie 1955 im Saarland".

Doch in Bonn reagierte man selbst dann nicht, als DDR-Ministerpräsident de Maizière in seiner Regierungserklärung vom 16. April 1990 unter Bezug auf das "Saarland-Modell" ausdrücklich davon sprach, "bei der Übernahme des Wirtschafts- und Sozialrechtssystems der Bundesrepublik darauf zu achten, daß in Übergangszeiten die notwendigen Sonderregelungen getroffen werden." Als Chefunterhändler Wolfgang Schäuble sich für die "kleine Wiedervereinigung" mit dem Saarland interessierte, galt seine Aufmerksamkeit nur juristischen Fragen.

Bei soviel Ignoranz seitens der 1990 in Bonn regierenden Koalition fällt es schwer zu glauben, daß Kohl oder Schäuble Opfer des Wirtschaftswunder-Mythos gewesen sind, als sie die Währungsunion als den allein Erfolg versprechenden Einstieg in die deutsche Einheit priesen. Diese Annahme wird noch dadurch erhärtet, daß der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" vor der Entscheidung des Kabinetts Kohl vom 6. Februar 1990 in punkto Währungsunion für ein abgestuftes Vorgehen plädierte. Die "Wirtschaftsweisen" wandten sich darüber hinaus unmittelbar nach dem Kabinettsbeschluß noch einmal in einem Brief an Helmut Kohl: "Die Währungsunion sollte nach unserer Auffassung nicht am Beginn stehen. ... Eine Währungsunion, die sich nicht im Gleichschritt mit dem grundlegenden Umbau des Wirtschaftssystems in der DDR vollzieht, verursacht lediglich Kosten, ohne die wirtschaftlichen Aussichten für die Menschen auf eine tragfähigere, bessere Basis zu stellen." ... <.

 
     
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