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(D.K.)
Der nachstehende Beitrag ist mir von Klaus-Michael Dreher zugeschickt
worden. Es ist der Text eines Vortrages, den Götz W. Werner anläßlich
der Einweihung des neuen Verwaltungsgebäudes der GLS-Bank 2005 gehalten
hat.
Wovon frühere Generationen in unserem Land nur träumen
konnten, ist Wirklichkeit geworden: Nie zuvor war eine so gute Versorgung
mit Gütern und Dienstleistungen für die breite Bevölkerung
möglich. Wir produzieren insgesamt - wenn auch nicht alle daran ausreichend
teilhaben - mehr, als wir verbrauchen können; wir leben also in vergleichsweise
paradiesischen Zuständen. Allerdings haben wir noch nicht genügend
gelernt, damit umzugehen. Zunächst muß die enge Verkopplung
von Arbeit und Einkommen, die die hohe Arbeitslosigkeit mit herbeigeführt
hat, neu gedacht werden. Im herkömmlichen, rein erwerbswirtschaftlichen
Arbeitsbegriff sind beide scheinbar notwendig miteinander verknüpft.
In Wirklichkeit handelt es sich um eine überholte gesellschaftliche
Konvention, die wir neu denken können: Das eine ist unser Einkommen,
das benötigt wird, um unsere Bedürfnisse durch Konsum befriedigen
zu können - und das andere ist unsere Arbeit, durch die wir uns in
die Gesellschaft einbringen, um Leistungen für andere zu erzeugen.
Die Voraussetzung für einen solchen möglichen Neuansatz ist
jedoch ein grundsätzlicher Bewußtseinswandel über unser
Verhältnis zur Gesellschaft und die Überwindung herkömmlicher
Denkmuster.
Ein Grundeinkommen ist finanzierbar - und die
Menschen würden trotzdem arbeiten
Gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen, das hier angedacht und gefordert
wird, werden vor allem zwei - platt verständliche wie gleichzeitig
unzutreffende - Bedenken geäußert: Das wird die große
Faulheit derjenigen auslösen, die ein solches Grundeinkommen beziehen,
und: Das ist nicht finanzierbar.
Es soll sich beim Grundeinkommen aber gar nicht um ein „Reichmachen
ohne Leistung“ handeln, es soll vielmehr gerade Leistung ermöglichen.
Ein Grundeinkommen in der vorgeschlagenen Form senkt zunächst Opportunitätskosten
selbstbestimmter Tätigkeit, da ein geringerer Teil des Einkommens
als vorher aus einer Vergütung für „abhängige Beschäftigung“
besteht. Auf diese Weise hätten die Bürger mehr Zeit für
die Familie sowie mehr Freiheit und finanzielle Sicherheit, die früher
durch ein Lohneinkommen garantiert wurden und die zum Beispiel bei der
Gründung einer Familie so entscheidend sind. Ein Grundeinkommen würde
den Menschen auch größeren Freiraum für ein vielfältiges
ehrenamtliches Engagement und für gesellschaftspolitische Mitwirkung
in Gemeinwesensaufgaben geben wie auch für die Entfaltung unternehmerischer
Initiativen, eine neue Unternehmensidee zur Marktreife zu entwickeln und
Mitstreiter für deren Umsetzung zu finden.
Was aber ist mit den für die Gesellschaft notwendigen Tätigkeiten,
die niemand tun will? Eine Antwort hierfür wäre, daß sie
vielleicht sehr gut bezahlt werden müßten, weshalb in der Folge
auch der Anreiz zu ihrer Rationalisierung stiege. Wenn es uns bisher gelungen
ist, Tätigkeiten, für die der Einsatz menschlicher Arbeitskraft
zu „teuer“ geworden ist, in Form von Maschinen und Methoden
zu ersetzen - warum soll uns das nicht auch in Zukunft gelingen? Wir müssen
Ersatz für Tätigkeiten finden, in denen Menschen keinen „Sinn“
in ihrer selbstbestimmten Lebensgestaltung mehr sehen. Zudem würde
ein Grundeinkommen zunächst nur an Staatsbürger gezahlt; das
Gemeinwesen der Bundesrepublik Deutschland kann nicht gefordert sein,
für Menschen außerhalb dieser Gemeinschaft ein Grundeinkommen
sicherzustellen. Bürger anderer Staaten hätten aber immerhin
verbesserte Aussichten, eine Beschäftigung in diesen Berufsfeldern
- Stichwort Spargelernte - zu finden.
Der erste Einwand - die Finanzierbarkeit - verliert bei sorgfältiger
Betrachtung seine Basis, auch wenn dies zunächst manchem überraschend
erscheint: Zur Finanzierung eines Grundeinkommens bedarf es grundsätzlicher
Änderungen im Steuerwesen. Unsere heutige, im Wesentlichen auf dem
nominellen (geldlichen) Einkommen basierende, Steuererhebungsform der
Einkommen- oder Ertragsbesteuerung geht auf eine Zeit zurück, in
der ein Großteil der Menschen noch in subsistenzwirtschaftlicher
Selbstversorgung lebte. In einer solchen Gesellschaft und Wirtschaft ist
der Staat darauf angewiesen, die Bürger an ihren Einkommensquellen
zu besteuern. Heute jedoch, da unser Wirtschaftsleben immer deutlicher
zu einem Füreinander-Leisten geworden und von hoher Interaktion und
Transaktion gekennzeichnet ist, wo der Einzelne nicht mehr beziehungsweise
nur noch in geringem Maße, das konsumiert, was er selbst produziert,
er also fast ausschließlich für andere leistet, ist dieses
System nicht mehr zeitgemäß. Dies zeigt sich schon darin, daß
die Entwicklung unserer Steuereinnahmen immer mehr zu einer stärkeren
Besteuerung des Konsums tendiert. Woher sollen auch die Mittel kommen,
wenn das abstrakt definierte Einkommen als breite Steuerbemessungsgrundlage
immer weniger geeignet ist und die Haushaltseinnahmen wegbrechen? Die
Umstrukturierung zu einem konsumbasierten Steuersystem ließe sich
durch das schrittweise Herunterfahren der einkommensbasierten Steuern
bei gleichzeitiger Anhebung der Konsumsteuern - die Mehrwertsteuer ist
deren Haupttyp - realisieren.
> Man sagt uns: "Gegen den Neoliberalismus zu sein, ist wie gegen
das Gesetz der Schwerkraft zu sein." - Nun denn! Nieder mit dem Gesetz
der Schwerkraft <.
Subcommandante Marcos, 1998
Anführer der mexikanischen Rebellen, Zapatisten genannt
Eine ihrer zentralen Aussagen: "Wir wollen keinen Staat machen".
Fundstelle: eine Werbeschrift von medico international e.V. aus dem Jahre
2000.
Das Argument „mangelnde Finanzierbarkeit“ läßt
sich vor allem damit entkräften, daß alle für die Zahlung
eines Grundeinkommens erforderlichen Geldströme bereits fließen.
Wenn in der Bundesrepublik die erhöhten Konsumsteuereinnahmen nicht
unmittelbar in den allgemeinen Staatsetat fließen, sondern auch
zur Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens herangezogen würden,
könnten im gleichen Zeitraum die bisherigen Einkommensbezüge
- Löhne und Gehälter sowie die Transferzahlungen des Staates
- um den gleichen Betrag (pro Person) gesenkt werden.
Die damit ins Auge gefaßte substitutive Wirkung des Grundeinkommens
hätte vor allem zwei Entwicklungen zur Folge. Zum einen könnten
die Lohnkosten, die von den Unternehmen aufgrund der bestehenden Marktbedingungen
an die Kunden weitergegeben werden, sinken: Das heißt, es würden
auch die Nettopreise - tendenziell in gleichem Umfange - niedriger werden;
dies führt bei gestiegener Konsumbesteuerung im Ergebnis zu etwa
konstanten Bruttopreisen. Da die gesunkenen Löhne und Gehälter
durch ein Grundeinkommen substituiert werden, bleibt die Kaufkraft erhalten.
Zum anderen kann der Staat die bereits heute bestehenden Transferzahlungen
an Bürger, in Form von Renten, Pensionen, Kindergeld oder Entlohnung
seiner Angestellten, Politiker und Beamten, ebenfalls absenken, was zu
einer Entlastung der öffentlichen Kassen führt. Der „Marsch
in die „Konsumsteuer“ ist also nichts, vor dem wir uns ängstigen
müßten, sondern nur eine Konsequenz der hervorragenden, von
wachsenden Transaktionsvolumina begleiteten wirtschaftlichen Entwicklung
unserer Gesellschaft. Es handelt sich um einen aufkommensneutral zu gestaltenden
Umbau der Steuererhebung. Auch die Unternehmenssteuern können in
diesem Zuge gesenkt und am Ende ganz abgeschafft werden. Dies scheint
um so mehr geboten, als jede Besteuerung von Unternehmen letztlich auf
dem Wege höherer (Netto)preise an die Kunden weitergegeben wird.
Eine weitere Konsequenz aus insgesamt zu erwartenden Produktivitätsgewinnen
ist die Finanzierung eines Grundeinkommens, die es ebenfalls in Schritten
umzusetzen gilt.
Wachsende Produktivität ermöglicht und erfordert ein bedingungsloses
Grundeinkommen.
Was sind die Alternativen? Wollen wir zu den Zeiten geringer Produktivität
zurückkehren? So abwegig dies erscheinen mag, die Forderungen nach
Niedriglohnjobs, nach Annahme von zumutbarer Arbeit - wobei hier die berechtigte
Frage zugelassen sei: Zumutbar für wen? - und der Schaffung eines
Niedriglohnsektors schlagen genau dies vor; ebenso wie die Aufforderung,
Unternehmen sollten mit „stumpferem Bleistift" rechnen (Interview
von Ulrich Thielemann in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 10./11./12. April
2004, S. 27: „Mit stumpferem Bleistift rechnen"), eine Erhöhung
des Beschäftigungsgrades auf Kosten der Produktivität darstellt.
Wenn dies, wie in vielen Fällen heutiger Sozialpolitik, von einer
faktischen Bevormundung der Bürger durch „administrative Verfahren“
begleitet wird und das System „dem Individuum nicht in jedem Falle
die freie Berufs- und Konsumwahl offen läßt, verstößt
[dies] gegen die menschlichen Grundrechte und richtet sich, wie die Erfahrung
lehrt, zuletzt gerade gegen diejenigen sozialen Schichten, zu deren Schutz
die künstlichen Eingriffe gedacht waren" (Ludwig Erhard: „Grundentscheidung
für die Soziale Marktwirtschaft", in: Stützel, W., et al.
Hrsg., Grundtexte zur sozialen Marktwirtschaft, Stuttgart 1981, S. 40).
Wer würde angesichts der Absurdität mancher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,
bei denen selbst die sinnlosesten Tätigkeiten mit der „Übung
und Vorbereitung auf richtige Arbeit“ gerechtfertigt werden, noch
an der Gängelung des Bürgers und dem gleichzeitigen Rückfall
in niedrigere Produktivität zweifeln?
An der Frage eines bedingungslosen Grundeinkommens kann sich auch erweisen,
ob ein Staatswesen - freilich entgegen anders lautenden Beteuerungen -
ein obrigkeitsstaatliches Selbstverständnis hat oder ob es ihm ernst
ist mit der geforderten Freiheit und Selbstverantwortung des Bürgers.
Der Staat sollte - auch durch ein funktionierendes Wirtschaftssystem -
seine Bürger in die Lage versetzen, sie sich zu erarbeiten. Die derzeit
diskutierten Alternativen scheinen darauf hinauszulaufen, den Bürger
bei zunehmend produktiver Wirtschaft immer mehr an ein sozialstaatliches
Gängelband zu legen, anstatt ihm durch ein Bürgergeld bürgergesellschaftliche
Freiheit zuzugestehen, also eine freiheitliche Gesellschaftsordnung Realität
werden zu lassen.
Freiheit bedeutet immer die Freiheit zur selbstbestimmten Gestaltung von
Zeit, von Lebenszeit. Das kann und wird bei volkswirtschaftlich abnehmender
abhängiger und weisungsgebundener Beschäftigung auch heißen,
Zeit für selbstbestimmte Tätigkeit zu gewähren. Dies um
so mehr, als in einem auf den effizienten Umgang mit Ressourcen - also
auch der äußerst knappen Ressource Zeit - getrimmten Wirtschaftssystem
völlig zu Recht auf den Einsatz von menschlicher Arbeit immer mehr
verzichtet wird. Dazu ist ein verändertes Bewußtsein erforderlich,
ein Bewußtsein auch von der historischen Einzigartigkeit und Tragweite
der wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen zwei Jahrhunderte. An
dieser Stelle wird deutlich, daß ein bedingungsloses Grundeinkommen
der entscheidende Baustein ist, um einige der Fragen zu beantworten, die
ein als wohlstandsmaximierende Marktwirtschaft gepriesener Kapitalismus
stellt, wenn immer deutlicher wird, daß das System in dieser Form
für immer größere Teile der Bevölkerung wohlstandsreduzierend
ist.
Mögliche Auswirkungen eines Grundeinkommens auf die Wirtschaft
Wir brauchen Güter und Dienstleistungen einzig und alleine für
Menschen. Für die Herstellung dieser Güter und Dienstleistungen
brauchen wir wiederum die Menschen. Was aber ist dabei Zweck und was ist
Mittel? Die Antwort auf diese Frage scheint sofort klar. Was dies jedoch
in der Konsequenz für die Gestaltung unseres Lebens und unserer von
steigender Produktivität geprägten Wirtschaft bedeutet, müssen
wir erst noch erkennen. Der Mensch wird mit seiner körperlichen Tätigkeit
immer weniger zur Herstellung der von ihm benötigten Güter und
Dienstleistungen gebraucht. Die Anforderungen an seine geistige Tätigkeit
in Beruf und Gesellschaft aber steigen. Kurz: Der Mensch in der Produktion
ist offensichtlich zunehmend ersetzbar, der Mensch als Konsument jedoch
nicht. Dies zu erkennen hindert uns noch das Verständnis unserer
„veralteten Finanzierungsverfahren" (Benediktus Hardorp: „Wir
müssen unsere sozialen Einrichtungen neu justieren", in: Das
Goetheanum, Nr. 28 2005, S. 3), denn immer noch reduzieren wir die Möglichkeit
zum Einkommenserwerb allein auf die schwindende Erwerbsarbeit. Da auch
diese, ebenso wie das Steuersystem, aus der Zeit früherer Unterversorgung
stammt, bedarf es dringend der Anpassung - vor allem unseres Bewusstseins.
Das scheint offenkundig zu sein.
Welche Auswirkungen hat ein in dieser Weise wirkendes Grundeinkommen für
den Unternehmenssektor? Deutschland würde durch die Umstrukturierung
des Steuerwesens eine „Steuer- und Investitionsoase“. Sinkende
Nettopreise (siehe oben) wirkten förderlich auf den Export. Niedrige
Lohnstückkosten würden den Standort Deutschland attraktiv machen.
Zudem würden Arbeitsmarktreglementierungen wie Tarifrecht und Kündigungsschutz
überflüssig und somit ein flexibler Arbeitseinsatz auf der Basis
von Individualvereinbarungen möglich.
Die Zukunftsangst der Menschen und die Vorsorge- und Sparnotwendigkeiten
würden reduziert. Dadurch stünde mehr Geld für Konsum zur
Verfügung. Stimulierung von Selbstorganisation und Selbstverantwortung
(Freiheit) wären die Folge. Zunehmend würden vor allem die als
sinnvoll wahrgenommenen Arbeitsaufgaben gesucht und geleistete Arbeit
würde den eigenen Intentionen in höherem Maße entsprechen
und dadurch authentischer und letztlich auch effizienter werden. Es würde
zusätzliches Potenzial für bezahlbare Kulturarbeit, Bildungs-
und Pflegearbeit (Arbeit direkt für den Mitmenschen und am Mitmenschen)
entstehen und ein immenser Impuls für Wissenschaft und Forschung
ebenso wie für unternehmerische Initiative freigesetzt.
Wie gezeigt wurde, ist das bedingungslose Grundeinkommen dazu geeignet,
die scheinbaren Gegensätze von hohem Einkommen, steigender Produktivität
und niedrigen Löhnen zu überwinden. Zudem würde es „aus
dem Schlagwort „Freiheit“ eine Realität machen [...]"
( Erich Fromm,: „Psychologische Aspekte eines garantierten Einkommens
für alle", in: Erich Fromm, Gesamtausgabe in zwölf Bänden,
Band V, München 1999, S. 311). Die Zukunft der Demokratie setzt auf
freie Bürger. Eine Gesellschaft und ein Staatswesen, denen es mit
dieser Freiheit ernst ist und für die Freiheit nicht nur das Abgeben
von Verantwortung an den Bürger ist, kann die Augen vor den Möglichkeiten
eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht verschließen. Um so
weniger in einem Wirtschaftssystem, das so sehr Zeit an Geld koppelt wie
das unsrige.
Gerade heute sind die Chancen für diese Freiheit aufgrund unserer
hohen Produktivität größer denn je. Ergreifen wir sie!
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