Dieter Kersten - Februar 2006    
 
Hamas und der Frieden  
     
 

Der Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen in Palästina am 25. Januar kam nicht so überraschend, wie Medien und „westliche“ Politiker es darstellen wollen. Die Hamas, laut Wikipedia (Internet-Lexikon) ein Akronym (ein aus Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter gebildetes Wort) aus Harakat al-muqawama al-islamiyya ist nicht nur die gewaltbringende Organisation westlicher Medien, sondern - für die Palästinenser - eine wichtige soziale Institution. Harakat al-muqawama al-islamiyya heißt übersetzt „Islamische Widerstandsbewegung“. Der Name Hamas selbst ist ein gebräuchliches arabisches Wort für „Gewalt“. In anderen Lexika wird Hamas mit „Begeisterung oder Eifer“ übersetzt. Die Hamas, damals noch unter dem Namen der Muslimbruderschaft agierend, wurde während der siebziger und achtziger Jahre direkt und indirekt durch verschiedene Staaten, einschließlich Saudi-Arabien und Syrien, finanziert. Der politisch-karitative Arm der Hamas wurde in dieser Zeit von Israel anerkannt. In dem mir vorliegenden Nahostlexikon, Redaktionsschluß 30. Juni 2001, steht dazu folgendes: > Zu Recht wird vermutet, daß Israel ursprünglich der Hamas wohlwollend gegenüber stand, da es sich davon eine Schwächung der PLO erhoffte <. Zur Zeit kommt das Geld von ausgebürgerten Palästinensern, vom Iran und von privaten Unterstützern aus Saudi-Arabien und anderen gemäßigten arabischen Staaten. Finanzierungs- und Propagandatätigkeiten finden in Westeuropa und den Vereinigten Staaten statt. Die Hamas hat den Ruf, nicht korrupt zu sein.

Wenn auch Hamas „Gewalt“ heißen soll, so hat die PLO und die ihr zugehörige Al-Fatah ebenfalls viele Gesichter. Die schwer bewaffneten Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden und die Kampftruppe Tanzin sind wesentliche Teile des „militärischen Armes“ von PLO und Al-Fatah. Der Name Al-Fatah ist ein Akronym von Harakat at-Tahrir al-Filastini (Bewegung zur Befreiung Palästinas). Nach Arafats Tod 2004 wurde F. Kaddoumi Generalsekretär der Al-Fatah. PLO und Al-Fatah haben den Ruf, außerordentlich korrupt zu sein. Mit der PLO und Al-Fatah haben bis zu ihrer jetzigen Abwahl alle Regierungen verhandelt.

Es ist nicht die Gewalt der Hamas, die zum Wahlsieg der Organisation geführt hat. Es ist das soziale Engagement und die Unbestechlichkeit. Ich behaupte, daß die Mehrheit der Palästinenser Frieden wollen.

Es scheint so zu sein, daß die Hamas über ihren Erfolg erschrocken ist. Sie muß jetzt nämlich Farbe bekennen, ob sie bereit ist, zu regieren. Zum Beispiel müssen die vorhandenen Verwaltungsstrukturen erhalten und bezahlt werden. Gleichzeitig müssen die Auflagen der EU für Reformen der Verwaltung erfüllt werden. Die EU überweist jährlich 500 Millionen Euro. Davon werden u.a. nicht nur die reguläre Polizei, sondern auch die bewaffneten Anhänger der Al-Fatah bezahlt. Um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, muß sich die Hamas etwas einfallen lassen.

Die USA und ihre Vasallen haben lautstark demokratische Wahlen in Palästina gefordert. Nun haben diese Wahlen stattgefunden und zu einem nicht genehmen Ergebnis geführt. In der Regel verstehen die Auftraggeber unter Demokratie eine parteiistische Herrschaft der ihr genehmen politischen Kräfte. Sie nutzen oftmals die divergierenden nationalen Bewegungen in den von ihnen abhängigen Staaten, um ihr eigenes politisches Süppchen zu kochen. Haben die USA nun die Lage falsch eingeschätzt oder ist der Sieg der Hamas Teil einer „Teile- und Herrsche-Politik“ im Nahen Osten? Eine Radikalisierung in Palästina könnte zu einer Radikalisierung in Israel führen, die angesichts eines möglicherweise bevorstehenden Krieges gegen den Iran von Bedeutung sein würde. Die Radikalisierung in Palästina und die damit zusammenhängende Gefahr für Israel diszipliniert bestimmte Kreise in den USA, die die kriminelle militärische und wirtschaftliche Weltherrschaftspolitik des Präsidenten Bush schon lange durchschauen.
Wenn schon von Gewalt geschrieben wird, dann muß auch die israelische Gewalt besprochen werden. Ich habe das schon mehrfach in den letzten Jahren getan. Deshalb will ich mich kurz fassen. Israel ist in einem Land errichtet worden, welches bei Staatsgründung am 14. Mai 1948 nicht menschenleer war. Diese Menschen, die in diesem Land lebten, sind in Mehrheit mit perfider Gewalt vertrieben worden. Eine breite israelische Blutspur zieht sich durch das „Heilige Land“. Keiner von den damaligen „Mächten“ ist den Israelis in den Arm gefallen. So schrecklich wie es ist: Gewalt erzeugt immer Gewalt. Diejenigen, die mit Recht versuchen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, sind leider noch in der Minderzahl.

Ich trete nicht dafür ein, Israel von der Landkarte verschwinden zu lassen. Ich trete für Demut ein, auf allen Seiten, für Gewaltlosigkeit, für Frieden und Abrüstung. Das Existenzrecht Israels wird, da bin ich sicher, auf Dauer nur gesichert sein, wenn es gelingt, die Staaten der Region zu einer für alle Seiten profitablen Wirtschaftsunion zusammen zu führen.

Aber, was ist mit dem Existenzrecht Palästinas? Wer tritt für dieses natürliche Recht ein? Die Gewährung dieses Existenzrechtes ist Voraussetzung für den Frieden. Es ist Voraussetzung für eine Wirtschaftsunion. Zu diesem Existenzrecht gehört ein geschlossenes, lebensfähiges Siedlungsgebiet mit wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten, der freie Zugang zu Trink- und Brauchwasser und ein sozialer Ausgleich in der Region.

Die BERLINER MORGENPOST titelt am 29. Januar 2006 mit der Überschrift auf erster Seite: > Pulverfaß Nahost - Heikle Mission für Angela Merkel <. Die Bundeskanzlerin hat die ganz klare Aufgabe, sich im Nahen Osten für Frieden durch Interessenausgleich einzusetzen. Es gibt keine auserwählten Völker und es gibt auch keinen Unterschied zwischen guter und schlechter Gewalt. Es gibt keinen gerechten Krieg. Soziale Gerechtigkeit hier und dort, Bildung, Herzensbildung = Kultur, das sind die menschlichen Kernforderungen, die von der Kanzlerin angegangen werden müssen. Ein Nachruf für den verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau in der BERLINER MORGENPOST am 28. Januar trug die Überschrift: > Versöhnen statt spalten, so lautete Raus Lebensmotto <. Versöhnen statt spalten muß auch in der Diplomatie möglich sein, öffentlich, nicht geheim. Ich erwarte von Frau Merkel eine klare, öffentliche Friedenspolitik, die alle Widersprüche des Nahen Ostens sichtbar und damit lösbar macht. Zu einer diplomatischen Friedenspolitik gehören auf keinen Fall Drohungen an die Adresse Palästinas, z.B. die EU-Hilfe einzustellen. Wenn schon gedroht wird, dann muß es ausgeglichen geschehen d.h. auch die Hilfe, die Israel von der EU und von der Bundesrepublik Deutschland erhält muß, in Frage gestellt werden. Auch Israel übt jeden Tag Gewalt gegen palästinensische Zivilisten aus.

Israel ist eine Atommacht und hat mehrmals, auch Europa, mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Es genügt nicht, daß die Bundeskanzlerin sich von dem israelischen Staatspräsidenten Mosche Katzav sinnlich auf die Wange küssen läßt (siehe u.a. BERLINER MORGENPOST vom 31. Januar 2006, Titelblatt). Sie muß einen energischen Anstoß für Friedensgespräche geben, Mosche Katzav ist gebürtiger Iraner. Möglicherweise kann man sich mit ihm über die Aufgabe nuklearer Bedrohungen eher verständigen als mit anderen Teilen der israelischen politischen Gesellschaft. Mosche Katzav hat sich anläßlich der Beerdigung von Papst Johannes Paul II. mit dem damaligen iranischen Präsidenten Khatami in der gemeinsamen Muttersprache unterhalten. Was war das Thema? Frieden? Oder die neueste Pariser Schlipsmode?

Noch einmal, Frieden muß das Ziel sein. Frieden in der ganzen Region!

 
     
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