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Der
Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen in Palästina
am 25. Januar kam nicht so überraschend, wie Medien und „westliche“
Politiker es darstellen wollen. Die Hamas, laut Wikipedia (Internet-Lexikon)
ein Akronym (ein aus Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter gebildetes
Wort) aus Harakat al-muqawama al-islamiyya ist nicht nur die gewaltbringende
Organisation westlicher Medien, sondern - für die Palästinenser
- eine wichtige soziale Institution. Harakat al-muqawama al-islamiyya
heißt übersetzt „Islamische Widerstandsbewegung“.
Der Name Hamas selbst ist ein gebräuchliches arabisches Wort für
„Gewalt“. In anderen Lexika wird Hamas mit „Begeisterung
oder Eifer“ übersetzt. Die Hamas, damals noch unter dem Namen
der Muslimbruderschaft agierend, wurde während der siebziger und
achtziger Jahre direkt und indirekt durch verschiedene Staaten, einschließlich
Saudi-Arabien und Syrien, finanziert. Der politisch-karitative Arm der
Hamas wurde in dieser Zeit von Israel anerkannt. In dem mir vorliegenden
Nahostlexikon, Redaktionsschluß 30. Juni 2001, steht dazu folgendes:
> Zu Recht wird vermutet, daß Israel ursprünglich der Hamas
wohlwollend gegenüber stand, da es sich davon eine Schwächung
der PLO erhoffte <. Zur Zeit kommt das Geld von ausgebürgerten
Palästinensern, vom Iran und von privaten Unterstützern aus
Saudi-Arabien und anderen gemäßigten arabischen Staaten. Finanzierungs-
und Propagandatätigkeiten finden in Westeuropa und den Vereinigten
Staaten statt. Die Hamas hat den Ruf, nicht korrupt zu sein.
Wenn auch Hamas „Gewalt“ heißen soll, so hat die PLO
und die ihr zugehörige Al-Fatah ebenfalls viele Gesichter. Die schwer
bewaffneten Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden und die Kampftruppe Tanzin
sind wesentliche Teile des „militärischen Armes“ von
PLO und Al-Fatah. Der Name Al-Fatah ist ein Akronym von Harakat at-Tahrir
al-Filastini (Bewegung zur Befreiung Palästinas). Nach Arafats Tod
2004 wurde F. Kaddoumi Generalsekretär der Al-Fatah. PLO und Al-Fatah
haben den Ruf, außerordentlich korrupt zu sein. Mit der PLO und
Al-Fatah haben bis zu ihrer jetzigen Abwahl alle Regierungen verhandelt.
Es ist nicht die Gewalt der Hamas, die zum Wahlsieg der Organisation geführt
hat. Es ist das soziale Engagement und die Unbestechlichkeit. Ich behaupte,
daß die Mehrheit der Palästinenser Frieden wollen.
Es scheint so zu sein, daß die Hamas über ihren Erfolg erschrocken
ist. Sie muß jetzt nämlich Farbe bekennen, ob sie bereit ist,
zu regieren. Zum Beispiel müssen die vorhandenen Verwaltungsstrukturen
erhalten und bezahlt werden. Gleichzeitig müssen die Auflagen der
EU für Reformen der Verwaltung erfüllt werden. Die EU überweist
jährlich 500 Millionen Euro. Davon werden u.a. nicht nur die reguläre
Polizei, sondern auch die bewaffneten Anhänger der Al-Fatah bezahlt.
Um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, muß sich die Hamas etwas
einfallen lassen.
Die USA und ihre Vasallen haben lautstark demokratische Wahlen in Palästina
gefordert. Nun haben diese Wahlen stattgefunden und zu einem nicht genehmen
Ergebnis geführt. In der Regel verstehen die Auftraggeber unter Demokratie
eine parteiistische Herrschaft der ihr genehmen politischen Kräfte.
Sie nutzen oftmals die divergierenden nationalen Bewegungen in den von
ihnen abhängigen Staaten, um ihr eigenes politisches Süppchen
zu kochen. Haben die USA nun die Lage falsch eingeschätzt oder ist
der Sieg der Hamas Teil einer „Teile- und Herrsche-Politik“
im Nahen Osten? Eine Radikalisierung in Palästina könnte zu
einer Radikalisierung in Israel führen, die angesichts eines möglicherweise
bevorstehenden Krieges gegen den Iran von Bedeutung sein würde. Die
Radikalisierung in Palästina und die damit zusammenhängende
Gefahr für Israel diszipliniert bestimmte Kreise in den USA, die
die kriminelle militärische und wirtschaftliche Weltherrschaftspolitik
des Präsidenten Bush schon lange durchschauen.
Wenn schon von Gewalt geschrieben wird, dann muß auch die israelische
Gewalt besprochen werden. Ich habe das schon mehrfach in den letzten Jahren
getan. Deshalb will ich mich kurz fassen. Israel ist in einem Land errichtet
worden, welches bei Staatsgründung am 14. Mai 1948 nicht menschenleer
war. Diese Menschen, die in diesem Land lebten, sind in Mehrheit mit perfider
Gewalt vertrieben worden. Eine breite israelische Blutspur zieht sich
durch das „Heilige Land“. Keiner von den damaligen „Mächten“
ist den Israelis in den Arm gefallen. So schrecklich wie es ist: Gewalt
erzeugt immer Gewalt. Diejenigen, die mit Recht versuchen, Konflikte gewaltfrei
zu lösen, sind leider noch in der Minderzahl.
Ich trete nicht dafür ein, Israel von der Landkarte
verschwinden zu lassen. Ich trete für Demut ein, auf allen Seiten,
für Gewaltlosigkeit, für Frieden und Abrüstung. Das Existenzrecht
Israels wird, da bin ich sicher, auf Dauer nur gesichert sein, wenn es
gelingt, die Staaten der Region zu einer für alle Seiten profitablen
Wirtschaftsunion zusammen zu führen.
Aber, was ist mit dem Existenzrecht Palästinas? Wer tritt für
dieses natürliche Recht ein? Die Gewährung dieses Existenzrechtes
ist Voraussetzung für den Frieden. Es ist Voraussetzung für
eine Wirtschaftsunion. Zu diesem Existenzrecht gehört ein geschlossenes,
lebensfähiges Siedlungsgebiet mit wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten,
der freie Zugang zu Trink- und Brauchwasser und ein sozialer Ausgleich
in der Region.
Die BERLINER MORGENPOST titelt am 29. Januar 2006 mit der Überschrift
auf erster Seite: > Pulverfaß Nahost - Heikle Mission für
Angela Merkel <. Die Bundeskanzlerin hat die ganz klare Aufgabe, sich
im Nahen Osten für Frieden durch Interessenausgleich einzusetzen.
Es gibt keine auserwählten Völker und es gibt auch keinen Unterschied
zwischen guter und schlechter Gewalt. Es gibt keinen gerechten Krieg.
Soziale Gerechtigkeit hier und dort, Bildung, Herzensbildung = Kultur,
das sind die menschlichen Kernforderungen, die von der Kanzlerin angegangen
werden müssen. Ein Nachruf für den verstorbenen Bundespräsidenten
Johannes Rau in der BERLINER MORGENPOST am 28. Januar trug die Überschrift:
> Versöhnen statt spalten, so lautete Raus Lebensmotto
<. Versöhnen statt spalten muß auch in der Diplomatie
möglich sein, öffentlich, nicht geheim. Ich erwarte von Frau
Merkel eine klare, öffentliche Friedenspolitik, die alle Widersprüche
des Nahen Ostens sichtbar und damit lösbar macht. Zu einer diplomatischen
Friedenspolitik gehören auf keinen Fall Drohungen an die Adresse
Palästinas, z.B. die EU-Hilfe einzustellen. Wenn schon gedroht wird,
dann muß es ausgeglichen geschehen d.h. auch die Hilfe, die Israel
von der EU und von der Bundesrepublik Deutschland erhält muß,
in Frage gestellt werden. Auch Israel übt jeden Tag Gewalt gegen
palästinensische Zivilisten aus.
Israel ist eine Atommacht und hat mehrmals, auch Europa, mit dem Einsatz
von Atomwaffen gedroht. Es genügt nicht, daß die Bundeskanzlerin
sich von dem israelischen Staatspräsidenten Mosche Katzav sinnlich
auf die Wange küssen läßt (siehe u.a. BERLINER MORGENPOST
vom 31. Januar 2006, Titelblatt). Sie muß einen energischen Anstoß
für Friedensgespräche geben, Mosche Katzav ist gebürtiger
Iraner. Möglicherweise kann man sich mit ihm über die Aufgabe
nuklearer Bedrohungen eher verständigen als mit anderen Teilen der
israelischen politischen Gesellschaft. Mosche Katzav hat sich anläßlich
der Beerdigung von Papst Johannes Paul II. mit dem damaligen iranischen
Präsidenten Khatami in der gemeinsamen Muttersprache unterhalten.
Was war das Thema? Frieden? Oder die neueste Pariser Schlipsmode?
Noch einmal, Frieden muß das Ziel sein. Frieden in der ganzen Region!
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