Dieter Kersten - Mai 2006    
 
Europa und der Krieg im Mittleren Osten  
     
 

Mohssen Massarrat schildert in seinem Beitrag sehr eindrucksvoll, wie vorgegangen wird, wenn man einen Krieg „vom Zaun brechen“ will. Die Leser des Kommentar- und Informationsbriefes kennen Mohssen Massarrat schon, das letzte Mal aus der Februar-Ausgabe. Mohssen Massarrat, geboren im Iran, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück. Seit Jahren aktiv in der Friedensbewegung, war er Mitbegründer der "Koalition für Leben und Frieden". Bücher von Mohssen Massarrat finden Sie in der beiliegenden Bestelliste bzw. unter www.neuepolitik.com.

Der iranische Präsident Ahmadinedschad und der us-amerikanische Präsident Bush, bzw. die „politischen Kräfte“, die hinter diesen beiden Kontrahenten stecken, scheinen von gleicher Besessenheit beherrscht zu sein. Bush und seinen Leuten geht es um Rohstoffe und Weltherrschaft, Ahmadinedschad geht es um seine innenpolitischen Machtpositionen gegenüber den reichen Mullahs (und ihren religiösen Stiftungen) und, wie auch bei Bush, um eine diffuse religiöse Komponente. Feind Israels zu sein ist für Ahmadinedschad reiner Selbstzweck, so wie Bush vorgibt, „Freund“ Israels zu sein.

Ahmadinedschad ist von den vielen Armen, Arbeitslosen und Benachteiligten zum Präsidenten gewählt worden. Die Arbeitslosigkeit lag vor den Wahlen und liegt immer noch - in diesem ölreichen Land! - regional unterschiedlich bei bis zu 25 Prozent. Betroffen ist vor allen Dingen die Jugend, die zum Teil gut ausgebildet ist. Es ist Ahmadinedschad nicht gelungen, die Mullahs davon zu überzeugen, „ihr Geld“ im Land so zu investieren, daß diese sozialen Ungleichgewichte ausgeglichen werden. Hinzu kommt noch, daß das Wort „Umweltschutz“ im Iran ein Fremdwort ist. Durch Raubbau und Vergiftung liegen ganze Landstriche brach bzw. befinden sich in archaischer Lethargie. Auf dem Land (in der Landwirtschaft) herrscht noch größere Armut als in den Städten. Ahmadinedschad wendet sich deshalb der Außenpolitik zu. Er muß von seiner ganz persönlichen Verantwortungslosigkeit und Unfähigkeit ablenken. Das Mullah-Regime meint vermutlich, mit seiner Hilfe weiter herrschen zu können.

Sie sollten bei den kurzen Fernseh-Sequenzen von den Massenveranstaltungen im Iran auf die Körpersprache des Präsidenten Ahmadinedschad achten, wie, nach dem er die Menge durch wüste Sprüche gegen „den Westen“ angeheizt hat, diese im Chor ruft Allah ist groß und du bist unser Führer und er seine beiden ausgebreiteten Hände hebt, wie der Papst zum Segen Urbi et Orbi, nur, daß die Handflächen leicht nach oben gekehrt sind. Er sieht sich als Mohammeds Nachfolger. Mohammed selbst aber hat sich als Mensch gesehen, sterblich wie wir alle.

Ahmadinedschad ist ein Demagoge. Die Verbindung von Religion und Politik ist eine Katastrophe und schadet dem Islam, dem Iran und allen (betroffenen) Menschen.

Am 28. April 2006 endete das Ultimatum, welches der UN-Sicherheitsrat der iranischen Regierung gestellt hatte. Dieses Ultimatum, welches die „Anreicherung von Uran“ betrifft, ist ein rechtliches Kuriosum. Laut Atomwaffensperrvertrag, über dessen Einhaltung die Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) wachen soll, hat der Iran ein Recht auf Uran-Anreicherung. Der Iran hat den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben. Israel, Indien und Pakistan haben ihn nicht unterschrieben. Israel und Indien erhalten trotzdem us-amerikanische technische und politische Förderung, Pakistan nur eine politische. Der Iran hat eine Förderung von den USA nichts zu erwarten. Der Iran steht nicht stramm vor den USA und Israel bzw. der Iran hat keine einflußreiche, finanzstarke Lobby in den USA. Hinzu kommt noch, daß die iranische Regierung die palästinensische Hamas finanziell unterstützt. In den Augen der amerika- und israelhörigen Welt ist das ein Verbrechen, in meinen Augen und in den Augen der moslemischen Welt ist zumindest die soziale Aktivität der Hamas ein Akt der Gerechtigkeit. Außerdem haben die Mullahs 1979 den us-treuen Schah Mohammad Reza gestürzt. Primitive „christliche“ Rache ist süß. Rohstoffe und die geostrategische Lage gegenüber China und Rußland bestimmen darüber hinaus die Politik der us-amerikanischen Regierung.

Auf der NATO-Tagung in Sofia, die ebenfalls am 28. April zu Ende ging, wurde Geschlossenheit und bestimmtes Auftreten gegenüber dem Iran angemahnt. Der Korrespondent von RBB Inforadio berichtete, daß die US-Außenministerin Condoleezza Rice, nach dem sie auf der Pressekonferenz nach den Konsequenzen des iranischen Ungehorsams gefragt wurde, „im Kreise gerudert“ sei.

In Sofia und Washington ist der Krieg zurückgestellt worden, erst einmal um Wochen.

Ich bin der Auffassung, daß es direkte Gespräche zwischen den Regierungen des Iran auf der einen Seite und den USA und Israel auf der anderen Seite geben muß, meinetwegen mit einem Vermittler, wie bei den Verhandlungen mit Nordkorea.

Ahmadinedschad könnte seine Atomtechnik gegen eine umfangreiche Abrüstung im Mittleren und Nahen Osten ausspielen. Dabei wäre es politisch nicht schädlich, wenn der Iran erst einmal Atommacht werden würde. Wir wissen aus der Zeit des Kalten Krieges, daß ein atomares Patt zwischen zwei Atommächten, in diesem Fall zwischen Israel und Iran, zu einer atomareren Abrüstung führen kann (hoffentlich wird). Das war im Kalten Krieg möglich und das wird auch hier so sein. Nach Auskunft der Fachleute wird es ohnehin noch Jahre dauern, bis der Iran die erste Atombombe oder Atomrakete hat. Dann werden dem Iran die Transportmittel fehlen, die Waffe an den Feind zu bringen. Auf die Dauer wird der Iran nicht in der Lage sein, eine so teure Aufrüstung parallel zu seinen immensen sozialen, inneren Kosten zu leisten. Er wird sich - rechtzeitig - an dieser Rüstung übernehmen. Auch Israel wird an der permanenten inneren Militarisierung und Aufrüstung zu Grunde gehen, wenn es nicht seine Politik ändert. Alle wissen es und alle tuen nichts dagegen.

Selbst wenn der Iran Atomkraft nur friedlich nutzen will, wird er sehr viel Geld und Unabhängigkeit verlieren. Atomkraftwerke sind sehr teuer. Er sollte sein Geld für alternative Energiewandlungen und für Energiesparprogramme verwenden. Aber warum soll der politische Weitblick in Teheran in dieser aktuellen Situation weiter verbreitet sein, als in Washington, Berlin, Moskau und Tel Aviv?

Zurück zur aktuellen Situation. Europa besitzt den Schlüssel zum Frieden. Wenn Europa sich neutral verhalten würde, fände der Krieg gegen den Iran nicht statt. Selbst wenn nur Deutschland seine absolute Neutralität erklären, den US-Amerikanern die Stützpunkte kündigen und Überflugrechte versagen würde, fände der Krieg nicht statt. Millionenfacher Mord wäre verhindert. Millionenfach deswegen, weil die us-ameriknnische Regierung verkündet hat, Nuklearwaffen gegen die Iraner einzusetzen, von denen jede „Bombe“ eine höhere Sprengleistung als die Hiroshima-Bombe hat. Nicht schädlich, schreien da die US-Militärs und die sich „christlich“ nennenden Prediger im us-amerikanischen Regierungslager, denn diese „Bomben“ bohren sich so tief in die Erde ein, daß keine Radioaktivität in die Atmosphäre eintritt. Jeder wird erkennen, daß diese Behauptungen dummes Zeug sind. Über die Erde wird ein radioaktiver „Fallout“ niedergehen, in einem Ausmaß, welches „Hiroshima“, „Harrisburg“ und „Tschernobyl“ in den Schatten stellt.

Frieden ist sehr viel gesünder als Krieg.

 
     
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