|
(D.K.) Die Hehlerei des Bundesnachrichtendienstes und der Bundesregierung in Sachen der „Liechtensteiner Stiftungs-CD“ ist aus der öffentlichen Wahrnehmung schon längst wieder verschwunden. Ich schrieb in der Ausgabe März/April über diese Vorgänge. Ein Leser rief mich an und meinte, der „Informant in Sachen Steuerhinterzieher“ wäre ein Whistleblower und hätte als solcher durchaus ehrenwerte Motive.
Ein Whistleblower, so interpretiere ich den Begriff nach der Lektüre mehrerer Internet-Seiten, ist ein Mitmensch, immer ein Insider, der aus selbstlosen, ethischen, menschen-, tier- und naturschützlicherischen Gründen die Warnpfeife = Whistle bläst, wenn seine Firma/Behörde/Verein gegen diese ethischen Normen verstößt, auch auf die Gefahr hin, seine berufliche Existenz und vielleicht sogar sein Leben zu riskieren. Auf einer Internetseite las ich, daß es in den USA und Großbritannien Whistleblower-Schutzgesetze gibt. In Deutschland gibt es einen Whistleblower-Netzwerk e.V., Internet: www.whistleblower-net.de. Sie finden auf dieser Web-Seite auch ein umfangreiches Literaturangebot. Sie wissen, daß ich Ihnen fast jedes Buch mit einer ISBN-Nummer beschaffen und liefern kann.
Meine spontane Einrede gegen die gutgemeinte Zuordnung des „Liechtensteiner CD-Verkäufers“ zu den Whistleblowern, er hätte ja über 4 Millionen Euro Provision erhalten und wäre deshalb nicht selbstlos gewesen, fand ich bei meiner Lektüre bestätigt. Alle Warnpfeifer bliesen selbstlos, aus den oben angeführten Gründen.
DER SPIEGEL, Nr. 11/10.03.08 meldete unter der Überschrift > BND-Informant hat Todesangst < nicht nur den Identitätswechsel des CD-Verkäufers, sondern berichtete auch von einem möglichen Deal über > ... rund 2700 Datensätze deutscher Kunden der Liechtensteiner Landesbank, die ein Schwerkrimineller gegen Strafminderung anbietet. <. Das spielt sich alles im bundesnachrichtlich-kriminellen Milieu ab und hat mit Whistleblower nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Geld nehmen oder nicht nehmen, das scheint mir eine der scharfen Grenzen zwischen dem selbstlosen Whistleblower und einem Dieb zu sein. Alle anderen möglichen Grenzen sind sehr fließend.
Unter dem Begriff Ombudsleute werden auf der Webseite www.whistleblower-net.de eine Reihe von Rechtsanwälten genannt, firmenspezifisch geordnet. Auffallend ist, daß Banken fehlen.
Angesichts der systematischen Veruntreuung von Kunden- und Steuergeldern auf dem weltweiten Spekulationsmarkt wundert es mich, daß es unter der ehrenwerten Gesellschaft der Banker keinen Whistleblower zu geben scheint. Banker scheinen, in dieser verallgemeinernden Form, immun gegen jede Art von Skrupel (Hemmung, Besorgnis, Gewissensbisse - lt. dem Etymologischen Wörterbuch) zu sein.
Das hat wahrscheinlich etwas mit Erziehung und Ausbildung zu tun. Gerade heute, am 3. April, melden die Medien einen Spekulationsverlust von 4,3 Milliarden Euro bei der Bayrischen Landesbank. Eine irre Zahl. Das ist alles unser Geld, das Geld des Bürgers. Die Verlustmeldungen in Deutschland werden sich mehren. Weltweit wird mit einem Schaden von 600 Milliarden Dollar geschätzt, und das alles nur bei us-amerikanischen Immobilien-Spekulationen. Andere Spekulationen sind in diesem riesigen Betrag nicht enthalten. Die Völker dieser Erde werden diese Geldvernichtung zu bezahlen haben, einschließlich der hohen Abfindungen für die entlassenen Zocker, die Banker.
Der Einwand, früher wurden Kriege zur Geldvernichtung geführt, gilt nicht mehr. Geldvernichtung und Kriege sind fast eineiige Zwillinge.
Weltordnungen und nationale Ordnungen müssen geändert werden. Parallel zu Ausbildung und Studium der Menschen brauchen wir eine Erziehung/Ausbildung zum Wistleblower, zum Widerspruch und zur gewaltfreien Konfliktbewältigung.
+ + +
Flugschrift 40
Manifest - Meinung - Hoffnung - Resignation - Vision - Experiment - Wahnsinn - Traum - Polemik
Heinrich Böll wies einst darauf hin - so etwas wie Gewissen oder umständlicher gesagt: die Haltung eines einigermaßen aufgeklärten, humanen Individuums ist grundsätzlich nicht delegierbar. Das wichtigste Verfahren dieser Haltung habe dabei aber nicht ein auf programmatische Rezepte verweisendes System von Antworten zu sein, sondern vor allem: die Frage.
Es ließe sich ganz in der Tradition Heinrich Bölls fragen, ob denn beispielsweise die Terrorängste einer fernen, nach einem Herbst in Deutschland benannten Zeit nicht bloß Vorläufer jener strategisch geschürten Panik waren, die in unseren Tagen vor allem demokratische Gesellschaften zu befallen scheint und dort nicht nur die Abschaffung von Bürgerrechten, sondern selbst den Angriffskrieg und damit verbundene Massenmorde als vorbeugende Selbstverteidigungsmaßnahmen unvermeidlich machen soll. Es ließe sich fragen, ob denn etwa der schreckliche Tod von nahezu dreitausend Menschen in den Trümmern zweier New Yorker Hochhäuser in einem amerikanischen Herbst den Bruch internationalen Rechts rechtfertigen kann, die Zerstörung von Städten, die Aussetzung der Genfer Konvention als überholte Gefühlsduselei und die Wiedereinführung von Foltermethoden der Spanischen Inquisition, ausgerechnet mit dem Hinweis auf den Schutz von Demokratie und Menschenrechten.
Wer sich die Erlaubnis zum Rückfall in die Barbarei erteilt, der darf, ja muß wohl auch terrorverdächtige Großstädte mit Bombenteppichen überziehen und beispielsweise die mehr als achtzigtausend, im Fortgang unvermeidlicher Militärschläge allein im Irak getöteten Zivilisten als Kollateralschäden abbuchen: Ein heiliger, der Freiheit und dem Frieden geweihter Krieg gegen den Terror darf offensichtlich auch Massenopfer in den Wohnblocks der Feinde fordern.
Weiter und weiter wäre allerdings zu fragen, ob denn ein durch zweifelhafte Ölgeschäfte zum vielfachen Millionär (Anmerk.D.K.: es muß wohl Millardär heißen) gewordener Mann nicht besser einem mit Kriegsverbrechen beschäftigten internationalen Tribunal in Den Haag auszuliefern wäre, anstatt ihn unter grotesken Umständen wiederholt zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu wählen; ein Mann, der, erfüllt von der Liebe zu seinem Gott und seinem Vaterland, immer noch stolz ist auf die mehr als l30 Todesurteile, die er als Gouverneur des humanistischen Musterstaates Texas bestätigt hat, und nun als Mister President uneingeschränkten Gebrauch macht von den allerneuesten, wahrhaft durchschlagenden Methoden der Friedenssicherung. Daß nur ein mit Erdöl vertrauter, zu allem entschlossener Bewohner eines Weißen Hauses weltbedrohende, beispielsweise in erdölproduzierenden Ländern eventuell und vermutlich und möglicherweise nebenbei produzierte Massenvernichtungswaffen noch vor ihrer Fertigstellung wirksam zu entschärfen vermag, dürfte in einer auf allen Linien und von allen Rechten befreiten Welt keine Frage mehr sein.
Unbeantwortet bliebe allerdings nach wie vor, warum eigentlich chemische und biochemische Massenvernichtungswaffen und nukleare Keulen in den Händen einer islamischen, russisch-orthodoxen oder hinduistischen Gesellschaft gefährlicher, um vieles! gefährlicher sein sollen als in den fundamental christlichen Händen einer, die so genannte Freie Welt anführenden Macht, die diese Waffen - bestens beraten übrigens von nationalsozialistischen Beutewissenschaftlern - nicht bloß entwickelt, sondern als erste und bisher einzige Staatsmacht der Geschichte nicht nur gegen einzelne Hochhäuser, sondern gegen ganze Städte mit der gleichen Begründung eingesetzt hat, die auch die Kriege unserer Tage und aller Tage nach uns heiligen soll: Alle Opfer dienten allein der Wiederherstellung des Friedens.
Gewiß, mit solchen Fragen, von welcher Seite sie auch immer gestellt werden, ist stets die Gefahr von Parteilichkeit und Irrtum verbunden, vor allem wohl, weil die Realität noch weitaus empörender sein dürfte, als selbst vom argwöhnischsten Fragesteller vermutet. Aber warum sollten denn unter allen Fragestellern ausgerechnet Schriftsteller besser vor Irrtümern geschützt sein als, sagen wir, die Verfasser von Leserbriefen und Leitartikeln, die Mitglieder eines Drachenfliegerklubs oder ein Handwerksmeister, der den Wasserrohrbruch in der Cafeteria eines Parlaments repariert?
(D.K.) Dieser Textdes österreichischen Schriftstellers Christoph Ransmayr war Beilage des Programms für das Theaterstück Die Kleinbürgerhochzeit, welches ich unter Kleiner Kulturspiegel bespreche.
|
|