Dieter Kersten, Bernard Lietaer, Dr. Robert Ulanowicz und Dr. Sally Goerner - März / April 2009

   
 

Komplementärwährungen

 
     
 

Den nachfolgenden Text habe ich am 7. Januar per Email vom Leser Henner Ritter erhalten. Der Text stammt von Bernard Lietaer, Dr. Robert Ulanowicz und Dr. Sally Goerner.

Bernard Lietaer ist seit mehr als 30 Jahren auf dem Gebiet der Geldsysteme aktiv und hatte dort ungewöhnlich viele verschiedene Funktionen inne. Bei der belgischen Zentralbank war er für die Einrichtung des ECU (zusammenführende Mechanismen für das einheitliche europäische Währungssystem) verantwortlich. In dieser Zeit war er zudem Präsident des elektronischen Zahlsystems von Belgien. Seine Erfahrung als Berater in Finanzfragen erstreckt sich von   multinationalen Unternehmen bis hin zu Entwicklungsländern auf vier verschiedenen Kontinenten. Er war Generaldirektor, Mitbegründer und Chefwährungshändler für den Gaia-Hedgefond, einem der größten Off-Shore-Währungsfonds. Während dieser Zeit nannte ihn die Business Week 1990 den „Währungshändler der Welt“.
Mehr Informationen über den Autor und seinen Vorschlag unter www.lietaer.com (leider nur in englischer Sprache). Die Website bietet zudem die Möglichkeit, Originalstudien zu der schweizerischen WIR-Genossenschaft und der hier beschriebenen Theorie komplexer Systeme herunterzuladen.

Der Text, den ich abdrucke, ist Teil einer dreißig Seiten langen Studie. Ich mußte ihn stark kürzen. Es fehlen auch alle Fußnoten und die ausführliche Literaturliste. Die Nummerierung der Untertitel habe ich beibehalten.

In der Buchbestelliste biete ich alle drei auf dem deutschen Buchmarkt erhältliche Bücher von  Bernard Lietaer an.

Die Web-Adresse der WIR-Genossenschaft lautet www.wir.ch.

VI. Unser Vorschlag
Unser Vorschlag konzentriert sich auf das, was am dringendsten getan werden kann und sollte, um die Auswirkung der Finanzkrise auf die „echte“ Wirtschaft zu reduzieren, wo also Unternehmen nicht-monetäre Güter und Dienstleistungen erzeugen und verkaufen. Unser Vorschlag enthält drei Komponenten: a) Aktionen der Privatwirtschaft, b) Entscheidungen der Staatsregierungen und c) Entscheidungen der Stadt- und Gemeinderäte.

A. Die Privatwirtschaft
Die „echte“ Wirtschaft wird voraussichtlich das nächste Opfer der Finanzkrise. Was auch immer die Regierungen für die Banken tun, es wird in den kommenden Jahren viel schwerer für Firmen sein, Kredite von den Banken zu bekommen. Sobald sich ein Domino-Effekt in der Realwirtschaft auswirkt, weil eine Kette von Insolvenzen losgetreten wurde, mit all ihren Folgen wie Arbeitslosigkeit und weiteren sozialen Problemen, dann wird sich zeigen, daß er noch schwerer zu stoppen ist als der Domino-Effekt im Bankensystem. Man braucht nicht zu hoffen, daß die Regierungen auch nur die wichtigsten Unternehmen retten könnten, nachdem sie die Kosten für die Bankbürgschaften übernommen haben. Allerdings gibt es etwas, was die Unternehmen selber tun können, um die schlimmsten Auswirkungen dieses Problems zu vermeiden.

Noch eine Geschichte
Vor langer Zeit, während einer ähnlichen Krise wie der gerade beginnenden, trafen sich sechzehn Geschäftsleute, um darüber zu beraten, was sie selbst dagegen unternehmen könnten. Sie oder ihre Kunden hatten von ihren jeweiligen Banken Briefe mit der Mitteilung erhalten, daß ihre Kreditlinien reduziert oder gekündigt würden. Ein Bankrott war daher nur noch eine Frage der Zeit.

Sie stellten fest, daß Firma A den Kredit benötigt hatte, um Güter von Firma B zu kaufen, welche wiederum das Geld benötigte, um Güter von ihren Zulieferern zu bestellen. Und so entschlossen sie sich, untereinander ein gegenseitiges Kreditsystem aufzubauen und luden dazu auch ihre Zulieferer und Kunden ein. Wenn Firma A etwas von Firma B kauft, bekommt A ein Soll und B erhält die zugehörige Gutschrift. Sie erschufen ihre eigene Währung, deren Wert genau der nationalen

Währung entsprach, aber mit der interessanten Eigenschaft, keine Zinsen zu erbringen.

Die Banken des Landes inszenierten eine groß angelegte Pressekampagne, um diese revolutionäre Idee zu unterdrücken. Wie durch ein Wunder scheiterte diese Kampagne jedoch und das kleine System rettete damals die beteiligten Firmen. Die Nutzer gründeten eine Genossenschaft, um die Konten mit der neuen Währung zu führen. Bald darauf konnten die Teilnehmer von der Genossenschaft auch Kredite in dieser Währung zum bemerkenswert niedrigen Zinssatz von 1% bis 1,5% bekommen. Diese Kredite mußten durch Inventar oder anderes Eigentum abgesichert sein. Im Laufe der Zeit wuchs dieses Geschäft und bald nahm ein Viertel der Firmen des ganzen Landes teil.

65 Jahre später bewies ein amerikanischer Professor in einer wirtschaftswissenschaftlichen Studie, daß das Geheimnis der legendären wirtschaftlichen Stabilität des Landes diese kleine inoffizielle Währung war, die parallel zur nationalen Währung zwischen den Unternehmen zirkulierte. Diese weit bekannte ökonomische Belastbarkeit wurde sonst einer mysteriösen und unbekannten nationalen Eigenheit zugeschrieben.

Wann immer eine Rezession herrschte, stieg die Zahl der Aktivitäten in dieser inoffiziellen Währung erheblich an und reduzierte dadurch die negativen Auswirkungen auf Absatz und Arbeitslosigkeit. Wenn die Wirtschaft boomte, vergrößerte sich dagegen das Geschäft in der nationalen Währung und die Aktivitäten in der inoffiziellen Währung wurden entsprechend geringer. Die überraschende Schlußfolgerung dieser Studie war: das spontane antizyklische Verhalten dieses kleinen Systems half wirklich der Zentralbank des Landes in ihren Bemühungen, die Wirtschaft zu stabilisieren.


Berufsbild Banker

Ein nicht vollständiger Bericht (D.K.) Ich war am 9. Februar  bei einem Banker mittlerer Position - an seinem Arbeitsplatz. In dem zweieinhalbstündigen Gespräch kamen fast alle finanzpolitischen Themen zur Sprache. Der Banker regte sich sehr auf, daß die Bank-Großmanager (national und international) fast alle das Vertrauen ihrer Kunden verspielt haben, aber nach wie vor und je nach dem, hohe Gehälter, Bonifikationen und Abfindungen beziehen. Gerichtliche Anklagen, z.B. wegen Veruntreuung von Kundengeldern, finden nicht statt, wobei wir über die juristischen Möglichkeiten nichts wußten. Es ist jedoch bekannt, daß auch Bank-Manager gegen gerichtliche Geldstrafen versichert sind, wie die verurteilten VW-Manager. Am Hungertuch wird keiner nagen, wenn er verurteilt wird. Die Hypo Real Estate-Manager, die in den letzten Monaten zurückgetreten worden sind, haben alle eine Abfindung erhalten, aus Steuergeldern. Mein Gesprächspartner bestätigte, daß die Gewerkschaft VERDI Tarifabschlüssen zugestimmt hat, in denen die Vergütungen für Anlageberater in ein Fixum und in Provisionszahlungen für verkaufte, vom Vorstand empfohlene, Anlagen aufgeteilt ist. Der Anleger kann sich also nicht sicher sein, objektiv beraten zu werden. Wir konnten uns darauf einigen, daß die Weltwirtschafts- und Finanzkrise eine Systemkrise ist. Um so bemerkenswerter ist es, daß der Banker keinen Vorschlag für eine Änderung des Systems hatte. Er hatte keine Ahnung über Komplementärwährungen oder Regionalwährungen. Er guckte mich sehr unglücklich an, als ich ihm sagte, daß es genügend Bücher  gibt, in denen dieser Crash vorausgesagt wurde und auch genug Literatur mit „Heilungs-Vorschlägen“. Der Banker zuckte erschrocken zusammen, als ich feststellte, die Deutschen der Vergangenheit hätten auch nicht Hitlers Mein Kampf gelesen. Das für alle Länder und Völker rücksichtslose, globale und neoliberale Wirtschaften hielt er für richtig und unumkehrbar.  Als ich meine Vermutung äußerte, daß die Mehrzahl der Banker hofften, die alten, für  sie lukrativen Zeiten kämen zurück, nickte er mit dem Kopf. Nachdem ich meine Befürchtung geäußert hatte, daß der Steuerzahler den Finanzcrash bezahlen muß,   warnte er mich vor einer noch nie dagewesenen Hyper-Inflation und empfahl mir, physisches Gold, gute Aktien oder Immobilien zu kaufen.

Das ist kein Märchen, sondern ebenfalls eine wahre Geschichte – die des WIR-Systems. Bei dem Land handelt es sich um die Schweiz, und die 16 Gründer trafen sich 1934 in Zürich. Das System ist auch heute noch aktiv. Das jährliche Volumen der Wirtschaft in der WIR-Währung liegt nun bei rund zwei Milliarden Dollar pro Jahr. Der genannte amerikanische Professor ist James Stodder von der Rensselaer Universität. Seine bemerkenswerte quantitative Studie greift auf mehr als 60 Jahre qualitativ hochwertiger Daten zurück, mit denen er die Kernpunkte dieser Geschichte belegt. Das WIR-System erlaubt es jetzt auch, Anlagen und Kredite in Schweizer Franken und der WIR-Währung zu machen.

Wir schlagen vor, daß Firmen die Initiative ergreifen und solche Business-to-Business (B2B)-Systeme in dem Umfang erschaffen, der für sie den meisten Nutzen bringt. Der große Vorteil im Vergleich zu den Geschehnissen in der Schweiz liegt in den heutigen Informationstechnologien, mit denen ein solches System in Bruchteilen der Zeit und der Kosten von damals errichtet werden kann. Und Geschwindigkeit ist entscheidend, wenn man die sozialen und ökonomischen Verwüstungen vermeiden will, die mit der Auflösung komplexer Zulieferketten bevorstehen. In Amerika wäre ein landesweites System gerechtfertigt. In Europa sollte idealerweise ein System ersonnen werden, das die ganze Eurozone abdecken kann. Andernfalls wird viel des wirtschaftlichen Gewinns durch die europäische Integration im Laufe der nächsten Jahrzehnte zunichte gemacht werden.

Unternehmen, die sich an dem System beteiligen, sollten noch etwas in Betracht ziehen: Lobbyarbeit, damit ihre Regierungen die B2B-Währung als Teil der Gewerbesteuern akzeptieren. Das könnte auch nur übergangsweise der Fall sein, zum Beispiel solange das Bankensystem seine traditionelle Rolle bei der Finanzierung der Realwirtschaft nicht in erforderlichem Maße erfüllen kann. Ein Anteil an der Steuerzahlung – selbst zehn oder 20 Prozent – wäre der stärkste Anreiz, den Regierungen für eine breite Akzeptanz der Währung geben könnten. Die Lobbyisten haben ein einfaches, aber mächtiges Argument: Die Regierungen haben gerade Milliarden Steuergelder gezahlt, um das Bankensystem zu retten, um zu vermeiden, daß das Übel auf andere Branchen übergreift. Die hier vorgeschlagene Strategie kostet die Regierung gar nichts, würde sogar die Steuereinnahmen erhöhen und ist der beste systemische Weg, zu vermeiden, daß sich die Fäulnis weiter ausbreitet, egal was sie zur Unterstützung der Banken sonst tun.

B. Staatsregierungen
Wenn alles gesagt und getan ist, dann werden Regierungen nicht willens und auch nicht in der Lage sein, die Banken zur Kreditvergabe an die Realwirtschaft zu zwingen – ebenso wenig, wie man mit einer Leine schieben kann. Eine Komplementärwährung zum Bezahlen der Steuern zu akzeptieren, ist ein sehr sinnvolle Sache – zusätzlich und parallel zum normalen Geld, während der Übergangszeit, bis das Bankensystem sich soweit erholt hat, daß es seine traditionelle Rolle wieder übernehmen kann. Welche Währungen akzeptiert werden sollen und welche Steuern damit bezahlt werden dürfen, ist eine politische Frage, die von jeder Staatsregierung selbst entschieden werden muß.

Wie gesagt, mit der Akzeptanz dieser Währung, als Teil der Steuerzahlung, bieten die Regierungen einen starken Anreiz für die Unternehmen und das Volk, diese Währung ebenfalls anzunehmen. Die Regierungen sollten sich aber besser nicht in den Aufbau und das Management eines solchen Systems einmischen. Ihre Rolle liegt darin, Qualitäts- und Verläßlichkeitskriterien abzuwägen und festzulegen, die eine Währung für die Regierung akzeptabel machen. Sie haben ja auch ein ureigenes Interesse daran, Zahlungen in einer robusten Währung zu erhalten. Es liegt auf der Hand, daß die Existenz einer solchen Währung Geschäfte begünstigt, die sonst nicht stattgefunden hätten, wenn normales Geld oder Kredite schwer zu bekommen sind. Diese zusätzlichen Geschäfte erhöhen im Gegenzug das zu besteuernde Einkommen der beteiligten Firmen, was eine positive Rückkopplungsspirale auslöst, die den Kreditreduzierungen der Banken entgegen wirkt.

Es gibt zwei Wege für verschiedene Regierungsebenen zu entscheiden, welcher Prozentsatz der Steuer durch die unterstützende Währung gezahlt werden kann. Bei der einen wird bestimmt, wie viel diese Regierung von diesem Geschäftssektor kauft. Ist beispielsweise 20 % des Etats für Käufe von einer bestimmten Gruppe von Unternehmen reserviert, wäre es sinnvoll, bis zu 10 oder 15 % der Steuerlast in der Währung dieser bestimmten Gruppe zu akzeptieren. Ein anderer Ansatz besteht darin, die Steuern eines Unternehmens proportional zum Umfang seiner Geschäfte in der jeweiligen Währung zu erheben. Mit anderen Worten: Alle Euroverkäufe werden in Euro besteuert, alle Verkäufe über die Komplementärwährung dürfen mit der entsprechenden Komplementärwährung bezahlt werden. Macht ein Unternehmen beispielsweise zehn Prozent seiner Umsätze mit der Komplementärwährung dürften die Steuern in proportional gleichem Umfang mit der Komplementärwährung beglichen werden.

Diese Strategie würde die Steuereinnahmen des Staates auf verschiedenen Ebenen erhöhen, besonders während einer Rezession, wenn die Steuereinnahmen schrumpfen. Wenn die Menschen und die Unternehmen durch den Mangel an Geld stranguliert werden, werden die Steuereinnahmen automatisch ebenfalls zerquetscht. Indem einige Zahlungen in anderen Währungen als dem von den Banken vermehrten Geld akzeptiert werden, können die Regierungen erklärtermaßen mehr Geld einnehmen. Das ist nicht bloß Theorie. Während der Rubelkrise in den späten 1990er Jahren akzeptierte die russische Regierung auch Kupfer als Zahlungsmittel für Körperschaftssteuern. Unser Vorschlag ist weit weniger extrem: Komplementärwährungen sind ein standardisiertes Tauschmittel, das die Regierungen ausgeben können, um dort Dienstleistungen zu bezahlen, wo die Komplementärwährungen akzeptiert werden.

Eine wichtige Entscheidung für eine Staatsregierung ist es, den Städten und Gemeinden zu erlauben, eine eigene Komplementärwährung zu unterstützen, mit der Gemeindesteuern bezahlt werden können. Warum das so wichtig ist, wird im folgenden erläutert.

C. Stadt- und Gemeinderäte
Aus zwei Gründen raten wir dazu, Stadt- und Gemeinderäten für diese Strategie die Auswahl ihrer eigenen Komplementärwährungen zu erlauben. Erstens werden sie als erste Regierungsebenen noch tiefer in Schwierigkeiten geraten, als sie es heute bereits sind. Zweitens stellen sie Vielfalt und Belastbarkeit in Aktion dar. Berücksichtigt man zudem, daß dieser Ansatz radikal neu ist, ist es zudem einfach sicherer, ein neues System zuerst auf kommunaler Ebene zu testen statt gleich auf Staatsebene.

Tatsächlich werden sich die Regierungen auf kommunaler Ebene an vorderster Front wiederfinden, wenn die Last der sozialen Auswirkungen dieser sich abzeichnenden Rezession geschultert werden muß, während gleichzeitig ihre Steuereinkommen sinken und Darlehen für herkömmliche Finanzierungen viel schwerer zu bekommen sind. Dieses Problem wird sich nicht auf die USA beschränken. The Observer aus London wirft die Frage auf:

  1. Was könnte in dieser Reihe von wirtschaftlichen Alpträumen überhaupt noch kommen und die Dinge noch schlimmer machen? Wie wäre es mit einer totalen Auszehrung kommunaler Finanzen, die für all die Dinge ausgegeben werden, die die Grundstruktur der amerikanischen Gesellschaft ausmachen. Stellen Sie sich die Schockwellen vor, die den Rest der Welt erfassen werden, wenn öffentliche Dienstleistungen bis auf einen Skelettbetrieb reduziert werden... „Das beunruhigendste an den sich ausbreitenden Turbulenzen ist, daß die Verwaltungen der meisten Bundesstaaten schon vorher in furchtbarem Zustand waren“ sagt Sujit Canagaretna, Cheffinanzberater im Rat der US-Bundesregierungen. „Doch jetzt haben sich die Dinge noch deutlich verschlechtert, der Kreditmarkt hat fast alle Schatzämter im Würgegriff. Es ist so schlimm, daß in fast allen Bundesstaaten die wirtschaftlichen Aktivitäten zum erliegen gekommen sind.“ ... Jetzt wo das Gespenst einer langen und schmerzhaften Rezession sich überall auf der Welt immer deutlicher zeigt, bestürzt es zu sehen, daß dieses Doppelproblem der Regierungen in ganz Amerika – fallende Steuereinnahmen und schlechterer Zugang zu Darlehen – allgegenwärtig ist. Machen Sie sich bereit für einen neuen tollen amerikanischen Export.“

Das zweite Argument für lokale Währungen: Ein wenig Vielfalt beim experimentieren mit einer neuen Strategie kann für alle Beteiligten nur gut sein. Wenn spezielle Probleme als politisch vorrangig angesehen werden, können auch andere Arten von Komplementärwährungen als die beschriebene B2B-Variante in Erwägung gezogen werden. Wenn zum Beispiel Kohlendioxid-Reduktion als wichtige Priorität angesehen wird, könnte eine CO2-reduzierende Währung aufgelegt werden und als Möglichkeit zur teilweisen Steuerzahlung akzeptiert werden. Einige Anwendungen des Öko-Geld-Programms in Japan sind maßgebliche Vorläufer in diesem Bereich. Ebenso können lokale und regionale Steuern teilweise in herkömmlichem Geld, teilweise in Regionalwährungen bezahlt werden. Oder internationale Unternehmen können Teile ihrer Steuern in Terras bezahlen, einer vorgeschlagenen globalen kommerziellen Währung, die durch einen Währungskorb voll abgesichert wird. Kurz: ein ganz neuer Werkzeugkasten steht jetzt zur Verfügung mit dem Anreize für spezielle Verhaltensmuster, sowohl für Unternehmen als auch für Einzelpersonen geschaffen werden können – und in den meisten Fällen sind sie schon irgendwo auf der Welt getestet worden.

D. Einige praktische Überlegungen
Diese vorgestellte Strategie läßt sich in unseren Zeiten viel schneller anwenden, denn inzwischen gibt es verschiedene Software, die eigens für das Management von Komplementärwährungen konzipiert wurde, sowie das Internet als Kommunikationswerkzeug. So ist bei der WIR-Genossenschaft in der Schweiz, über die wir zuvor gesprochen haben, ein umfangreiches System in vier Sprachen einsatzbereit, das simultan mit nationaler Währung und WIR umgehen kann. Zudem gibt es noch verschiedene andere voll einsatzbereite Software-Pakete für spezielle Anwendungen mit einer Komplementärwährung. Es wäre eine gute Idee, hier vor allem Open-Source-Software zu benutzen, weil es die Flexibilität bieten würde, neue Funktionen hinzuzufügen oder neue Währungen auf der gleichen Smart Card, ohne warten zu müssen, bis die Software-Entwickler ihren Rückstand aufgearbeitet haben. So nutzt die Strohalm-Stiftung in den Niederlanden eine für gegenseitige Kredit-Systeme entwickelte Open-Source-Software für soziale Zwecke, und diese ist bereits in mehreren Ländern im Einsatz. Außerdem finanziert die Europäische Union zusammen mit der französischen Regierung die Entwicklung des SOL-Systems mit drei verschiedenen Arten von Komplementärwährungen auf der gleichen Smart Card. Diese Anwendung befindet sich gerade in einer ersten Testphase in fünf verschiedenen Regionen in Frankreich und kann leicht für zusätzliche Sprachen oder eine vierte Applikation für die zuvor beschriebene B2B-Währung ausgeweitet werden.

Natürlich sollte eine solche Strategie in bedachtsamen Schritten durchgeführt werden, beginnend mit einer Pilot-Anwendung in begrenztem Rahmen. Ein europaweites Projekt sollte zum Beispiel mit einem Gemeinschaftsunternehmen in kleinem Rahmen begonnen werden.

E. Antworten auf einige Einwände
Der erste Einwand wird natürlich vom Bankensystem kommen, das lieber den Status Quo beibehalten würde. Ein Argument wird sein, daß die vorgeschlagene B2B-Währung das Bankensystem an ihrer üblichen Funktion hindern würde, es käme – so das Fachwort – zu einer „Disintermediation“ der Banken. Dieser Einwand ist nur dann stichhaltig, wenn die Banken selbst entscheiden, sich nicht an Konten und Transaktionen in der B2B-Währung zu beteiligen – und zwar nur dann. Interessanterweise läßt sich feststellen, daß mehrere Banken – lokale und regionale Institute – über die Bereitstellung von Konten und Zahlungsdienstleistungen an mehrere Komplementärwährungs-Projekten beteiligt sind. Das ist zum Beispiel der Fall bei der Bank of Ithaca, die in der Stadt Ithaca, New York, die Ithaca HOUR-Konten führt und bei der Raiffeisenbank im österreichischen Vorarlberg. Die Logik dahinter: lokale und regionale Banken können nur mit Riesenbanken konkurrieren, wenn sie lokale Dienstleistungen anbieten, die die Großen nicht haben – und natürlich wird ein Kunde mit einem Ithaca Hour-Konto bei der Ithaca Bank meist auch ein Dollar-Konto eröffnen... Banken leiden also nur dann unter Disintermediation durch einen regen Gebrauch der B2B-Währung, wenn sie selbst distanziert bleiben. Doch auch wenn sie sich nicht beteiligen, würden Banken immer noch von der Einführung von B2B-Währungen profitieren. Der Grund dafür ist die antizyklische Stabilität, bewiesen durch den Vorgänger WIR, der auch den Portfolios des Bankensystems nützt. Und weil unser Vorschlag den Banken nur zeitweise das Monopol nimmt, ein legales Zahlungsmittel zu vermehren, ist er ein viel weniger drastischer Kompromiss, als beispielsweise die Verstaatlichung oder der völlige Verlust auf das Recht der Geldschöpfung.

Der zweite Einwand ist ziemlich vorhersagbar und wird vom traditionellen wirtschaftlichen Denken kommen: verschiedene Währungen innerhalb eines Wirtschaftsraumes zu nutzen, reduziert die Effizienz bei Preisbildung und Handel zwischen den Akteuren. Dieses Argument ist zwar stichhaltig, aber wir wissen ja inzwischen, daß die Überbetonung der Effizienz genau das ist, was die Belastbarkeit des Systems verringert und es so brüchig gemacht hat.

F. Einige Vorteile des vorgeschlagenen Ansatzes
Unser Vorschlag bietet eine systemische Lösung für die Instabilität des Finanzsystems, was die gegenwärtigen Ansätze nicht einmal versuchen zu erreichen. Systemische Lösungen sind die Einzigen, die uns davor bewahren, in der Zukunft immer wieder die gleichen Probleme durchmachen zu müssen. Wie das WIR-Beispiel zeigt, haben sich Komplementärwährungs-Systeme als Schlüsselfaktor erwiesen, die eine anti-zyklische Stabilität fördern. Dies wurde nicht nur während der Weltwirtschaftskrise der 1930-er Jahre erreicht, sondern auch in jedem folgenden Konjunkturzyklus der Schweizer Wirtschaft.

Eine mehrfach gestaffelte Strategie mit mehreren Interessengruppen hat eine ganze Reihe von Vorteilen für die verschiedenen beteiligten Gruppen, besonders während der Übergangsphase, in die wir nun eingetreten sind.

  • Der Lösungsansatz verhindert oder reduziert die Erdrosslung der Realwirtschaft durch die verringerte Kreditvergabe der Banken, zu der es ohne Zweifel kommen wird.
  • Die Entscheidungen, die Regierungen vielleicht treffen werden – Steuerzahlungen teilweise in anderem Geld als dem üblichen Bankengeld zu akzeptieren – bleiben völlig innerhalb ihrer eigenen politischen Entscheidungsmacht. Die Strategie ist auch sehr flexibel: eine Regierung kann entscheiden, daß die Zahlungen nur für bestimmte Steuern akzeptiert werden, nur zu einem bestimmten Prozentsatz, nur für bestimmte Steuerjahre und nur für bestimmte Komplementärwährungen, die sie entweder als robust anerkannt hat oder die andere positive Wirkungen haben.
  • Bisher sind Steuern nur mit „ Zahlungsmitteln“ zahlbar, also mit dem üblichen, aus Krediten geschöpften Geld von der Bank. Jede Währung ist ein Belohnungssystem und unser derzeitiger Weg, mit Steuern und Subventionen umzugehen, beschränkt sich auf dieses eine Instrument, dessen Verfügbarkeit unter seiner Nützlichkeit liegen muß, wenn es seinen Wert behalten soll. Mit Komplementärwährungen würde ein ganz neues Feld der Möglichkeiten eröffnet, die sich ganz auf bestimmte Ziele konzentrieren und fein darauf abgestimmt werden können. Komplementärwährungen, die zur Steuerzahlung akzeptiert werden, ließen sich also passend für die massiven Herausforderungen, denen sich die Welt gegenübersieht, zurechtschneidern.
  • Komplementärwährungen haben sich als nützliches Werkzeug für die Gestaltung eines Belohnungssystems in verschiedensten Bereichen erwiesen, ob eine Krise herrscht oder nicht. Belege dafür können in einer ganzen Reihe von Publikationen nachgelesen werden.
  • Vielleicht am wichtigsten: Diese Strategie bewahrt uns davor, den schrecklichsten Teil des 1930-er Szenarios zu wiederholen, wo nichts gegen die Erdrosselung durch die zweite Welle getan wurde, was in massiven Pleiten einer produktiven Wirtschaft resultierte, einer unerträglich hohen Arbeitslosigkeit, unsäglichem Leiden und bösartigen politischen Konsequenzen, die sich als gefährliches Gebräu erwiesen, dessen Reaktion – erst einmal gemixt – nicht mehr zu stoppen war. Hjalmar Schacht, Hitlers Reichsbankpräsident, hatte nur allzu sehr recht, als er darauf hinwies, daß die Popularität der Nazis bei den Wählern eine direkte Folge war von „Verzweiflung und Arbeitslosigkeit“.
 
     
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