Dieter Kersten - Mai / Juni 2010

   
 

Was tun?

 
     
 

(D.K.) Beide Beiträge über den Zustand unserer Landwirtschaft >Was tun< und >Boden und Bewußtseinsbildung - ein Zusammenhang?<   habe ich von  Herrn Dipl. agr.  Alfred Colsman erhalten.

Aus der Zusammenfassung des in fünf Jahren  von vielen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen aus 186 Nationen erarbeiteten Weltagrarberichtes 2008. Dieser Bericht wurde schließlich  von 56 Nationen unterzeichnet.

Die Befunde des Weltagrarberichtes lassen keinen Zweifel daran: Die Art und Weise, wie die Weltgemeinschaft in den nächsten Jahrzehnten ihre Ernährung und deren Produktion gestaltet, wird die ökologische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zukunft unseres Planeten bestimmen. Je früher wir die unvermeidlichen Konsequenzen ziehen, desto besser sind die Erfolgsaussichten. Dies ins Zentrum öffentlicher und persönlicher Wahrnehmung zu stellen, ist der erste, wesentliche Schritt zur Besserung. Wir alle können dazu beitragen.


Dabei sollten wir uns nicht ablenken lassen. Die Hoffnung auf technische Patentlösungen hilft nicht weiter. Das Wissen und die technologischen Voraussetzungen zur Bewältigung  der Aufgabe stehen zur Verfügung. Worauf es ankommt, sind ihr innovativer, zielgerichteter Einsatz und ihre Gemeinschaftliche Verbreitung. Es geht um strukturelle, vornehmlich soziale Veränderungen auf allen Ebenen. Wissenschaftlicher Fortschritt kann dabei helfen. Aber er kann diese Vernunft nicht ersetzen. Wer das verspricht, verhindert die notwendigen Schritte, von denen manche unbequem, viele aber auch befreiend und bereichernd sind. Fatal wäre auch, der SchIuß, die Aufgabe sei zu groß, als daß die kleinen Beiträge zählten, zu denen wir Einzelnen, unsere Gemeinden, Unternehmen, Organisationen und Staaten in der Lage sind. Allein die Bereitschaft, das Machbare zu tun und jeden kleinen Schritt ernst zu nehmen, kann die Dynamik in Gang setzen, die auch scheinbar Unmögliches erreichbar macht. Das lehrt die Erfahrung Tausender ermutigender Initiativen in aller Welt.

Eine neue Effizienz-Revolution
Wie können 9 Milliarden Menschen sich gesund, gerecht und nachhaltig, ohne wesentlich mehr Ackerboden und Wasser, ernähren und dabei global 50%,hierzulande sogar 80% weniger Treibhausgase verursachen? Die Effizienz-Revolution, die dafür nötig ist, kann nicht mehr auf der bisherigen Wachstumsgleichung beruhen: Wie steigern wir den wirtschaftlichenErtrag pro Arbeitskraft?Siemuß sich vielmehr auf die Frage konzentrieren: Wie erzielen wir mit den vor Ort verfügbaren Mitteln den optimalen Ernährungs-Ertrag einer Fläche bei minimalem Ressourcenverbrauch? Staatliches Handeln und marktwirtschaftliche Organisation, ökonomische Wertgesetze und gesellschaftliche. Werte müssen sich, bei Strafe ihres Untergangs, den objektiven, geophysikalischen Grenzen anpassen. Weil die Selbstregulierungsfähigkeit des Marktes, der Wissenschaft und der politischen Eliten damit überfordert ist, bedarf es hierzu beständigen, entschlossenen, international vernetzten, gesellschaftlichen Druckes.   

Solare Landwirtschaft und Vielfalt
Sonnenenergie, menschliches Wissen und Kreativität, Arbeit und Kooperationsfähigkeit sind die erneuerbaren Ressourcen, die für diese Effizienz-Revolution in nahezu unerschöpflichem Maße zur Verfügung stehen und noch um Größenordnungen ausgeweitet werden können. Hinzu kommen die natürliche und kultivierte biologische Vielfalt, die Innovations- und Anpassungskraft der Natur, deren enormes Potential heute nur zu einem Bruchteil genutzt und von industriellen Monokulturen verdrängt und vernichtet wird. Fossile Energie und alle von ihr abhängigen Produkte, auf denen unsere Ernährung heute beruht, sind dagegen der Rohstoff, auf den wir am schnellsten verzichten müssen. Eine radikale Reduktion des Einsatzes von synthetischem Stickstoff und Agrarchemie, von Verarbeitungs-, Verpackungs- und Transportaufwand, der Abschied von industriellen Agrarsprit-Programmen und die systematische Bekämpfung jeglicher Verschwendung und Übernutzung natürlicher Ressourcen haben oberste Priorität.


Kleinbäuerliche Betriebe des Südens bieten glücklicherweise bessere Voraussetzungen für diese systematische agrarökologische Intensivierung der Produktion als große und mittlere Betriebe und Industriesysteme in unseren Breitengraden. Der Klimawandel und noch weiter anhaltender Bevölkerungsdruck in diesen Regionen und schwächere Infrastrukturen erschweren jedoch den schnellen Wandel. Um so dringlicher ist die schnelle und konsequente Umstellung der industriellen Landwirtschaft und Ernährungssysteme des Nordens, der freie Zugang zu den wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen und die globale Überwindung von Markt- und Ausbeutungsstrukturen, die dem heute im Wege stehen.

Ernährungs-Souveränität
Ernährungs-Souveränität, das Recht und die Möglichkeit, sich und seine Gemeinden selbstbestimmt mit ausreichender, gesunder Nahrung zu versorgen, ist für die große Mehrheit der heute Hungernden der entscheidende Schritt aus der Armutsfalle, hin zu nachhaltiger wirtschaftlicher und ökologischer Entwicklung.


Selbstversorgung und Eigenverantwortlichkeit sind aber auch das richtige Leitbild für Europa, dessen Über-Konsum die Welt belastet. Billigfleisch oder "Bio"-Sprit aus Regenwald fressenden Monokulturen und der subventionierte Dumping -Export von Lebensmitteln, die oft aus importierten Rohstoffen hergestellt werden,  sind zwei Seiten derselben Medaille. Beide veletzen mit Hilfe der herrschenden Regeln der WTO die Ernährungs-Souveränität von Entwicklungsländern und verhindern den Aufbau nachhaltiger Landwirtschaft. Ernährungs-Souveränität ist schließlich auch ein gutes Leitbild für unsere eigene Ernährung. Zu wissen, was wir essen, wie und von wem unsere Lebensmittel  hergestellt werden, ist die Basis fairer Beziehungen zwischen Verbrauchern und Produzenten und von guter und gesunder Ernährung. Deren Grundrezept ist einfach: möglichst unverarbeitete, vielfältige, hauptsächlich pflanzliche, regionale, ökologisch und fair hergestellte Produkte so oft es geht selber kochen und in Ruhe genießen. Die schrittweise, unverbissene Rückeroberung der persönlichen Ernährungs-Souveränität von Lebensmittelkonzernen, Werbung, Ernährungswissenschaftlern, Zutatenlisten, Hetze und Preisknüllern gehört zu den effektivsten  und angenehmsten Schritten auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Hierfür einen etwas höheren Anteil unseres Einkommens einzusetzen, rechnet sich in vieler Hinsicht und hilft zudem, unsere Wegwerf-Quote zu senken.

Globale Zusammenarbeit und Beteiligung
Die Wiederherstellung von Beziehungen zwischen Verbrauchern und Herstellern, Stadt und Land, beginnt in der eigenen Region. Sie muss hier nicht enden. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen machen die Projekte, die sie unterstützen, ländliche Genossenschaften und Bewegungen, Frauenselbsthilfegruppen, innovative Landwirtschafts- und Gemeindeinitiativen, Mikrokredit-Vereine, Natur- und Umweltschutz-, Gesundheits- und Menschenrechtsprojekte öffentlicher Beteiligung zugänglich. Fairtrade- und Biounternehmen entwickeln neue Formen globaler Zusammenarbeit. Das Internet kann dabei helfen, eine vielfältige, globale Öffentlichkeit zu schaffen. Wir brauchen sie nicht zuletzt, um dem gewaltigen Zukunftsprojekt eines gerechten, gemeinschaftlich getragenen Ausgleichs der Lasten der Klimaanpassung, des Schutzes der global unverzichtbaren Naturresourcen und der weltweiten Erhaltung der Artenvielfalt menschliche Gesichter und praktische Dimensionen zu geben.


Wir kennen die Herausforderungen, wir kennen die Lösungen, wir haben die Mittel. Worauf also warten wir?

 
     
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