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(D.K.)
Den nachfolgenden Text habe ich einem Rundschreiben des Vereins BUND FÜR
SOZIALE VERTEIDIGUNG, Schwarzer Weg 8, 32423 Minden, entnommen. Die Webadresse
ist www.soziale-verteidigung.de. Sie können die Adressen nutzen,
Ihre Zustimmung zu äußern.
Für Anfang Dezember 2011 lädt die Bundesregierung zu
einer großen Afghanistan-Konferenz auf den Bonner Petersberg ein.
Insgesamt über 1.000 Delegierte aus 90 Staaten werden erwartet. Die
Leitung der Konferenz soll die afghanische Regierung übernehmen.
Ob auch Taliban eingeladen und teilnehmen werden, ist offen. Doch eine
Petersberg-Konferenz ohne Einbezug aller Konfliktparteien ist sinnlos.
Drei Themenschwerpunkte sollen nach Angaben der Bundesregierung im Vordergrund
stehen:
- die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische
Regierung bis 2014;
- das weitere internationale Engagement für Afghanistan im Anschluss
daran
- und der politische Prozess, also die innerafghanische Aussöhnung
und Integration ehemaliger Taliban-Kämpfer.
Um was ging es damals und um was geht es heute?
Ausdrücklich wird die angekündigte Konferenz als Folgekonferenz
zehn Jahre nach der Petersberger Konferenz von 2001 bezeichnet.
Als sich am 27. November 2001 die Teilnehmer der ersten Petersberger Konferenz
trafen, waren gerade die Taliban besiegt und nach Pakistan vertrieben
worden. Damals ging es darum, eine Übergangsregierung zu bilden,
an der alle bedeutenden Volks- und Interessengruppenbeteiligt sein sollten.
Die Idee war gut, die Ausführung unzureichend.
Bestimmend in dieser Konferenz war die gegen die Taliban siegreiche Nordallianz,
die zu diesem Zeitpunkt bereits de facto die Macht in Afghanistan ausübte.
Sie gab vor, die Interessen der Tadschiken, Usbeken und Hazara zu vertreten.
In der größten Bevölkerungsgruppe, den Paschtunen, hatte
die Nordallianz so gut wie keine Anhänger. Auch die Paschtunen waren
in Bonn vertreten, vor allem durch den aus seinem langjährigen römischen
Exil angereisten ehemaligen afghanischen König Mohammed Zahir und
seine Gefolgschaft. In Afghanistan hatte diese Gruppe bereits seit Mitte
der siebziger Jahre keinen nennenswerten Einfluss mehr.
Nicht vertreten waren die Taliban und auch so gut wie nicht ihr traditionelles
Umfeld in den paschtunischen Stämmen. Die Posten in der anschließend
gebildeten Übergangsregierung wurden entsprechend vergeben: Einige
Schlüsselpositionen wurden de facto von westlichen Regierungen mit
ihnen genehmen Exilpolitikern nichtpaschtunischer Herkunft besetzt, andere
gingen direkt an Vertreter der Nordallianz, darunter auch einige berüchtigte
Warlords und Kriegsverbrecher.
Die Ergebnisse der ersten Petersberger Konferenz trugen wesentlich mit
dazu bei, daß sich schon bald der Aufstand gegen die als Besatzung
empfundenen internationalen Truppen entwickelte und ausbreitete und die
Taliban, deren Vertreibung ganz Afghanistan als Befreiung erlebt hatte,
wieder zurückkehren konnten und von vielen Afghanen allmählich
als „Übel“ akzeptiert wurden.
Heute, zehn Jahre nach der ersten Petersberger Konferenz, ist Afghanistan
innerlich zerrissen. Die von den Taliban dominierte Aufstandsbewegung
hat weite Teile des Landes erfasst und damit deutlich gemacht, daß
sie ein nicht zu unterschätzender Faktor im Land ist. Die von US-General
Petraeus verkündete Strategie, die Taliban-Führer zu töten,
haben die Taliban umgedreht und mit zum Teil spektakulären Anschlägen
gegen prominente Regierungsvertreter demonstriert, daß sie auf diese
Weise von der NATO nicht zu zerstören sind. Die NATO macht wiederum
mit ihren Bombardements deutlich, daß auch die Taliban nicht siegen
können.
Für eine zweite Petersberger Konferenz steht daher die Aufgabe im
Raum, den Realitäten Rechnung zu tragen und nach einer politischen
Verhandlungslösung zu suchen.
Bereits im „Fortschrittsbericht Afghanistan“ der Bundesregierung
vom Dezember 2010 hieß es: „wenn die von den Vereinten Nationen
mandatierte internationale Militärpräsenz einen entscheidenden
Beitrag in Afghanistan leistet, kann der dortige Konflikt nicht allein
militärisch gelöst werden. Der Weg zu einem stabilen und sicheren
Staat erfordert letztlich eine 'politische Lösung', einen Prozess
der Verständigung und des politischen Ausgleichs mit der Insurgenz.“
(S.62).
Wenn man den politischen Ausgleich mit der Insurgenz will, muß man
mit der Insurgenz, also den Aufständischen, sprechen, und wenn man
eine Konferenz zur Lösung des Afghanistankonflikts einberuft, dann
muß man dorthin auch die Vertreter der Insurgenz einladen! Ob aber
Vertreter der Taliban zu dieser Konferenz eingeladen werden und falls
ja, ob sie auch teilnehmen werden, ist derzeit völlig offen.
Seit einigen Monaten gibt es bereits Pressespekulationen über Gespräche
zwischen Regierungsvertretern von NATO-Staaten und Taliban. Am 22. Mai
2011 meldete Spiegel-online: „deutscher Spitzendiplomat Michael
Steiner, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Pakistan und
Afghanistan, moderiert die derzeit stattfindenden Geheimgespräche
zwischen der US-Regierung und den afghanischen Taliban.“ Angeblich
verhandeln die beiden Kriegsgegner bereits seit Herbst 2010. Erstaunlich!
Denn ernsthafte Gespräche zwischen Taliban-Abgesandten von Mullah
Omar und ISAF-Offizieren (International Security Assistance Force = Internationale
Sicherheitsunterstützungstruppe) hatte es im Juli und August vergangenen
Jahres in Kabul gegeben. Sie waren durch Vermittler aus der afghanischen
und deutschen Friedensbewegung zustande gekommen. Im Oktober wurden sie
von ISAF mit der Begründung abgebrochen, daß nur noch über
Reintegration gesprochen werden dürfe, nicht aber über Reconciliation
(Versöhnung). Stattdessen präsentierte US-General David Petraeus
kurz darauf vor der Presse einen Gesprächspartner der Taliban, der
sich schnell als pakistanischer Hochstapler herausstellte.
Sind die derzeitigen Gespräche unter Beteiligung des Auswärtigen
Amtes ein ebensolcher Fake? Wohl nicht, denn als Gesprächspartner
wird Tayyeb Agha, ein ehemaliger Sprecher von Mullah Omar, der in Pakistan
lebt, genannt. Doch ob dieser noch enge Kontakte zu der aktuellen Taliban-Führung
hat, ist nicht bekannt und wird von einigen Kennern der Szene bezweifelt.
Ein Interview in der taz vom 8. Juli 2011 ließ allerdings aufhorchen.
Das Gespräch zwischen dem früheren Taliban-Botschafter Mullah
Abdul Salam Zaeef und Karsai-Berater Mohammad Masoom Stanekzai machte
überraschend deutlich, wie sehr zumindest diese beiden in Fragen
eines Versöhnungsprozesses einander nahe kommen.
Doch hat Mullah Zaeef, der unter dem Schutz der Karsai-Regierung in Kabul
lebt, ein Verhandlungsmandat der Taliban oder spricht er nur für
sich selbst? Wollen die Taliban überhaupt ernsthaft verhandeln? Noch
dementieren sie offiziell alle Gespräche. Und der Westen? Will er
wirklich mit den Taliban verhandeln oder nur mit Überläufern?
Alle entscheidenden Frage bleiben bisher leider offen.
Das
Trauerspiel von Afghanistan
von Theodor Fontane 1858
Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
„Wer da!“ – „Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.“
Afghanistan! er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Commandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.
Sie führen in’s steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er athmet hoch auf und dankt und spricht:
„Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Cabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verrathen sind.
Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“
Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all’,
Sir Robert sprach: „Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.
Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So laßt sie’s hören, daß wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimath und Haus,
Trompeter, blas’t in die Nacht hinaus!“
Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd’,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.
Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,
Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.
Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.
Wie läßt sich Licht ins Dunkel bringen?
Wenn beide Seiten ernsthafte Gespräche mit dem Ziel aufnehmen wollen,
Verhandlungen über eine Friedenslösung zu führen, dann
sollten beide Seiten auch keine Zweifel an ihrer Verhandlungsbereitschaft
aufkommen lassen. Ein Lackmustest für eine solche Bereitschaft und
zugleich für die Seriosität der Gesprächspartner wäre
ein von beiden Seiten zu vereinbarender und einzuhaltender Waffenstillstand,
wenn nicht gleich für ganz Afghanistan, dann zumindest für eine
definierte Region.
Einen solchen Versuch hatte es bereits 2009 gegeben. Damals kam es auf
Initiative von Vermittlern aus der afghanischen und deutschen Friedensbewegung
zu einem Waffenstillstandsangebot der Taliban für die Region Kundus
und in Zusammenhang mit Gesprächen auf hoher NATO-Ebene zu einem
zeitweisen einseitigen Waffenstill-stand der Taliban in dieser Region.
Diese Bemühungen scheiterten leider an fehlender Bereitschaft der
NATO und auch der Bundesregierung.
Wenn es irgendwann ernsthafte Verhandlungen über eine Friedenslösung
für Afghanistan geben soll, dann braucht es mit Sicherheit auch eine
internationale Verhandlungsebene und eine Neuauflage der Petersberg-Konferenz.
Ob die aktuellen Vorbereitungen auf eine solche Konferenz schon im Dezember
ohne einen Waffenstillstand und ohne autorisierte Verhandlungsführer
auf Seiten der Taliban hilfreich sind, darf bezweifelt werden.
Stand: Juli 2011 |
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