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Wir
sind das Volk
, diese vier Wörter, der Slogan von 1989, zuerst
skandiert auf den Demonstrationen in Leipzig, wurde von vielen Menschen
in der ehemaligen DDR als die Aufforderung verstanden, an politischen
Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Es entstanden die Runden
Tische, die bzw. deren Teilnehmer für kurze Zeit die Geschicke
bzw. die Zukunft der DDR meinten mitbestimmen zu können. Aber es
kam, was kommen mußte: der Slogan Wir sind das Volk
änderte sich in Wir sind ein Volk und der vermeintliche
"Kanzler der Einheit" Helmut Kohl konnte ohne Skrupel "blühende
Landschaften" in der dann schon fast ehemaligen DDR ankündigen.
Das Volk, welches zu Anfang so selbstbewußt auftrat,
war zu einem beliebigen Ein Volk geworden, und die "blühenden
Landschaften" erwiesen sich als Fata Morgana. Ein Volk hatte die
für kurze Zeit erworbene Verantwortung für sich selbst wieder
an skrupellose Lobbyisten abgegeben, und fuhr, anstatt die eigene Zukunft
zu gestalten, lieber in den Süden in Urlaub, mit einem frisch gekauften
Auto. Man hat ja einen Anspruch darauf. Der Katzenjammer mußte kommen,
er war von Ein Volk hausgemacht.
Jetzt, wo diese skrupellosen Lobbyisten ihre Zeit gekommen sehen, den
Sozialstaat, gewachsen in der subtropischen Wärme des Kalten Krieges,
zu roden, sind die Menschen auch auf die Straße gegangen und haben
wieder gerufen Wir sind das Volk und sie haben nicht gemerkt, daß
sie damit eine Selbstverpflichtung eingehen, über diese Demonstrationen
hinweg für die eigene Selbstbestimmung zu sorgen. Was nun passiert,
ist fast noch schlimmer als die Aufgabe der Runden Tische - nämlich
gar nichts. Statt eine neue politische Ordnung zu fordern, die die Lobbyisten,
die Parteivertreter, kontrolliert, zieht sich Das Volk
in die immer noch eigenen vier Wände zurück und kuscht.
Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten, sich "kampfes"mutig
einzubringen: Wir haben ein Genossenschaftsgesetz, welches Mitbestimmung
möglich macht, wir haben faktisch ein Mitwirkungsrecht bzw. eine
Mitwirkungspflicht von (mutigen!!??) Eltern schulpflichtiger Kinder in
der Schule, wir haben in manchen Gemeinden ein (Bürger-)Deputiertenrecht,
welches natürlich kritisch durchgesetzt werden muß und wir
haben die Mitbestimmungsrechte in der Wirtschaft.
Diese Beispiele lassen sich fortsetzen. Keiner wehrt sich wirklich, weder
bei Opel, noch bei VW, auch nicht bei Daimler-Chrysler, bei der Deutschen
Post oder der Deutschen Bahn. Wirklich wehren, d.h. ja, nicht lamentieren
und schreien, sondern sich informieren und sachlich in "direkter
Demokratie" mitgestalten. Von jedem Einzelnen ist intensive politische
Arbeit gefordert. Wir sind das Volk - das sollte das Drehbuch für
politische Nachbarschaften (Diskussions-und Beschlußforen
= "Runde Tische" für ca. 500 beieinanderwohnende Wahlberechtigte)
sein, in denen das Volk sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Regierungen
und Verwaltungen sind entweder nicht in der Lage, die sozialpolitischen
Probleme zu lösen oder sie sind in dem selbstverschuldeten Wust von
Akten, Gesetzen, Bestimmungen und Verordnungen, und nicht zu vergessen,
dem Lobbyistentum, so verheddert, daß sie handlungsunfähig
sind.
Wir sind das Volk heißt auch, Freiheit durch
Selbstbestimmung gewinnen.
Wehrt Euch! In den Ausgaben September und Oktober des Kommentar-und Informationsbriefes
habe ich mich mit der nicht vorhandenen Demokratie in Deutschland, der
Sozialpolitik und mit der "Dienstleistungswüste Deutschland"
auseinandergesetzt. Mir ist vorgeworfen worden, daß ich die "kleinen
Leute" für Dinge verantwortlich mache, die vom mittleren und
obersten Management zu verantworten sind. Aber wenn Wir sind das Volk
einen Sinn haben soll, dann muß von unten der Protest kommen, Widerstand
muß geleistet werden, gegen Gewerkschafts - und Unternehmer-Funktionäre.
Natürlich sind mittleres und Vorstands-Management die Hauptschuldigen
an der Misere von Opel und Karstadt/Quelle, um nur diese beiden Firmen
zu nennen. Zusammen mit allen Politikern und auch allen Mitgliedern der
so genannten "staatstragenden" Parteien hat das Wirtschaftsmanagment,
flankiert von einer teilweise skrupellos agierenden "veröffentlichten"
Meinung der Medien, in den letzten 55 Jahren der Bundesrepublik alt und
neu, diesen wirtschaftlichen Zustand herbeigeführt, mit dem wir es
heute zu tun haben.
Die Globalisierung der Wirtschaft ist von der wirtschaftlichen und politischen
Oligarchie herbeigeführt worden, sie ist so gewollt. Die Demontage
des Sozialstaates, der mit Sicherheit sehr unausgewogen war und die Arbeitenden
auch sehr belastet hat, ist auf diese zügellose Globalisierung zurückzuführen.
Der Profit der Geldbesitzer steht im Mittelpunkt. Deshalb bleibt die Belastung
der Arbeitenden erhalten und die sozial Schwachen werden ausgegrenzt.
Die Gewerkschaften haben eifrig daran mitgewirkt. Keiner darf vergessen,
daß sie bei allen großen Firmen mit im Aufsichtsrat und zum
Teil auch als Arbeitsdirektoren in den Vorständen sitzen. Bei allen
Managementfehlern - die Gewerkschaftsfunktionäre waren dabei. Ich
will die Mitbestimmung in den Betrieben nicht herunterspielen. Sie ist
oftmals wichtig und nötig. Zum Problem wird sie, wenn Gewerkschaftsfunktionäre
meinen, diese Mitbestimmung sei abhängig von einer "gleichen
Augenhöhe", und wenn sie unter der "gleichen Augenhöhe"
das Profilierungsbedürfnis verspüren, sagen wir mal, einen gleich
großen Swimmingpool in ihrem Garten haben zu müssen, wie ein
Vorstandsvorsitzender. Ich meine das nicht gegenständlich, sondern
im übertragenen Sinn. Die Gewerkschaften wären angesehene und
hilfreiche Organisationen, wenn in ihnen Wirtschafts - und Demokratie-Modelle
diskutiert und entwickelt werden würden. Ich bin nach wie vor der
Meinung, daß wir regionale Währungen brauchen, umlaufgesichertes
Geld, welches die Leistung des Bürgers in der Region in Wirtschaftskraft
umsetzt. Ich bin weiter der Auffassung, daß wir möglichst viel
direkte Demokratie bedürfen, um die Menschen in die lebensnotwendigen
Entscheidungen einzubinden. Natürlich wird es ein politisches, nachbarschaftliches
Ringen geben, wenn es um die Definition von lebensnotwendigen Entscheidungen
geht. Wir sind das Volk! |
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